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Berlin gegen München: Ein einziges Gequetsche

■ Zwischen den Boulevardblättern „B.Z.“ und „Abendzeitung“ ist der alte Streit zwischen wirklicher und heimlicher Hauptstadt neu entbrannt. Eine „Retour-Watschn“ kann da nicht ausbleiben

Die Berliner selbst haben's einfach noch nicht begriffen. Da haben sich die „Menschen draußen im Lande“, kurz bevor es ernst wird mit dem Regierungsumzug, schon mit dem Gedanken an ihre neue Hauptstadt angefreundet. Niemand mosert mehr über das proletarisch-provinzielle Millionendorf kurz vor der polnischen Grenze. Allein die dreieinhalb Millionen Einwohner der künftigen Metropole selbst ergehen sich in alten Selbstzweifeln und führen eine verletzte Eitelkeit vor, als weilten sie in Posemuckel.

Da hatte sich doch Martin Schäfer, Kolumnist der Münchner Abendzeitung (AZ), gar nichts Böses gedacht. Ein Wirtschaftsinstitut hatte herausgefunden, daß in Münchens Fußgängerzone so viele Passanten flanieren wie nirgendwo sonst. Selbst die Fifth Avenue oder die Champs-Elysées können da nicht mithalten – ganz zu schweigen vom „ziemlich weit abgeschlagenen“ Berlin. „Münchner City – die Nr. 1 der Welt“, titelte die AZ. Nicht ohne im Kleingedruckten anzumerken, es gebe „keinen Anlaß zum Überschnappen“. Eine „gewisse Münchner Provinzialität“ lasse sich „nicht wegschminken“, denn „in der Nacht herrscht in München tote Hose“.

Doch damit war das hiesige Boulevardblatt B.Z. nicht mehr zu besänftigen. Schließlich frönen die Redakteure, schon immer weniger feinfühlend als ihre Kollegen vom Münchner Edelboulevard, unter ihrem zugereisten Chef Franz Josef Wagner wieder heftig dem Lokalpatriotismus. „Frechheit aus München: Die Hauptstadt will wichtiger sein als Berlin“, teilte die Zeitung eine „ordentliche Retour- Watschn“ aus – nicht ohne ihren Lesern zu erläutern, daß sich hinter diesem Bavarizismus eine „Backpfeife“ verberge.

„Kein Wunder“, daß zwischen Marienplatz und Stachus ein weit größeres Gedränge herrsche als auf dem Tauentzien – schließlich seien die Straßen in München „kurz und eng“, der Flaneur fühle sich „wie eine Ölsardine“. Kurzum: „Ein einziges Gequetsche.“ Nicht erklären konnte sich die B.Z., wie München überhaupt in eine Studie geraten war, in der es um die Hauptstraßen „der Weltstädte“ gehen sollte.

Einmal in Wallung geraten, mochte sich der hauptstädtische Zorn nicht auf die Konkurrenz der Einkaufsstraßen beschränken. Während bei Münchens „Kulturereignis“ Oktoberfest häßliche Münchner im Delirium über dem Maßkrug hängen, so illustrierte das Blatt mittels fotografischer Gegenüberstellung, tanzen auf Berlins Love Parade knackige RaverInnen.

Es folgte eine „Liste der großen Überlegenheit“. In Berlin „herrschaftliches Fahren“ auf „riesigen Alleen“, in München „ein einziges Gewurschtel“. Das „pikante und nuancierte Vergnügen“ einer Currywurst gegen den „labberigen Händedruck“ einer Weißwurst. Drei Flughäfen, „zwei davon mitten in der Stadt“, gegen einen einzigen, obendrein „Jott We De“. Nachtleben „rund um die Uhr“ hier, ein spätes Bier nur noch in „der Deppen-Disco P 1“ dort.

Das alles hat AZ-Kolumnist Schäfer nicht gewollt. „Ich verstehe die Aufregung der B.Z. nicht“, gestand er gestern der taz, „daß Berlin eine wichtige Stadt ist, wissen wir natürlich auch.“ Die Kollegen hätten das „Thema verfehlt“, schließlich habe er nur über die Einkaufsstraßen geschrieben. Sein Urteil über die B.Z.-Retourkutsche: „Ganz amüsant“, aber „absolut provinziell“. Über eine Gegenoffensive sei in den Redaktionsräumen an der Sendlinger Straße noch nicht entschieden. Eines weiß Schäfer aber ganz sicher: Zumindest mit einer Glosse will er in den nächsten Tagen „zurückschlagen“. Ralph Bollmann

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