: Ruinen, Rituale und Revolutionen
In ihrer Haltung spiegelt sich die Vorstellung einer unkorrumpierbaren, politisch aktiven Künstlerpersönlichkeit. Die afroamerikanische Künstlerin Carrie Mae Weems mit einer Fotoausstellung im Bethanien ■ Von Harald Fricke
Carrie Mae Weems' einjähriger Aufenthalt im Künstlerhaus Bethanien ging merkwürdig still über die Bühne. Keine Galeriepräsentation, keine Gesprächsrunden, nicht einmal Ehrenessen. Offenbar hat die afroamerikanische Künstlerin nicht allzusehr nach einem Standbein in Europa gesucht. Umgekehrt hat sich scheinbar auch keine Berliner Galerie für Weems interessiert, obwohl sie gerade im letzten Jahr verblüffend erfolgreich war: erst die Johannesburg- Biennale, dann Museumsausstellungen in Richmond/Virginia oder Detroit und vor zwei Monaten die Würdigung im New Yorker Whitney Museum.
Die Distanz gegenüber dem Markt und die Ablehnung medienwirksamer Selbstinszenierungen gehören zur Biographie der 1953 geborenen Carrie Mae Weems. In ihrer Haltung spiegelt sich die Vorstellung einer unkorrumpierbaren und politisch aktiven Künstlerpersönlichkeit wider. Noch der Presse-Reader, der vor dem Studio II des Bethanien ausliegt, vermerkt in einer Danksagung von Weems, daß weder Ausbildung noch Karriere ohne staatliche Fördermittel zustande gekommen wären. Darin ist aber auch implizit, daß afroamerikanische KünstlerInnen keine ökonomischen Druckmittel hinter sich wissen, um ihre Positionen darzulegen. Weems setzt diesen Umstand durchaus strategisch ein: Aus der jahrzehntelangen Unsichtbarkeit afroamerikanischer Kultur im Kunstkontext soll keine Alibiveranstaltung in Sachen p.c. werden, sondern ein kulturpolitisches Argument.
Tatsächlich hält sich auch die Berliner Foto-Installation von Carrie Mae Weems in der Schwebe zwischen der Drastik des Gegenstandes und dessen Verschwinden in der künstlerischen Umsetzung. Auf fünfzehn Bahnen Musselinstoff wurden historische Motive gedruckt: Ruinen aus der Zeit des Sklavenhandels, der Angriff auf Bürgerrechtsdemonstranten in Alabama, die verwüstete antike Stadt Tulum in Mexiko oder Porträts von Hopi-Indianern. Einige der Fotografien erinnern an die düster konturierten Schwarzweiß- Szenen Roy DeCaravas, während die sepiagetönten Aufnahmen sich mehr nach der lateinamerikanischen Tradition von Tina Modotti oder Manuel Alvarez Bravo richten. Die Bilder sind als Vorhänge im Raum verteilt, doch durch den feinen Druck auf dem ebenso lichtdurchlässigen Material wirkt die Arbeit mehr wie eine dreidimensionale Collage – als wäre die Geschichte auf eine Wäscheleine gespannt worden.
Zwischen den einzelnen luftigen Bahnen wiederum wird man als Betrachter eingewoben in die Beziehungen, die Weems dokumentiert. Aus der Nähe sind die einzelnen Bildelemente jedoch nur noch ein grobkörniges Netz, in dem man keinen visuellen Halt mehr findet. Erst in dieser Situation, der eigenen Blindheit angesichts der Motive, nimmt man die leise Stimme von Weems wahr, die mit einem warmen Klang fast schmeichelnd einen Text spricht: „I was with you when you stormed the Bastille.“
Später ist in Weems' als Poem konzipiertem Monolog „Between the two worlds“ von der irischen Kartoffelseuche oder dem langen Marsch der kubanischen Guerilla die Rede. Aus der Ich-Perspektive schlägt Weems einen Bogen zwischen Katastrophen und Rebellionen, der vor allem das Zeugnis- Ablegen in den Mittelpunkt stellt. Das wechselnde „I saw“ und „I was“ entwickelt sich zu einer rhapsodisch vorgetragenen Meditation, zu der auch der Ausstellungstitel paßt: „Ritual And Revolution“ ist der Versuch, kollektives Gedächtnis und individuelle Erfahrung in der „großen“ Erzählung neu zu koppeln.
Ein anderes Mal hört man Weems plötzlich über Auschwitz sprechen, davon, daß sie mit „geschorenem Kopf“ im Todeslager war. Im Katalog ist dazu ein Dokumentarfoto mit nackten Frauen im KZ abgebildet, im Bethanien fehlt diese Aufnahme. Spätestens hier schrickt man zurück – gilt nicht die Einbindung des Holocaust in eine Kontinuität menschlicher Gewalt als Tabu? Die Verbindung der Konzentrationslager mit den Opfern der Sklaverei kann nicht funktionieren, zu naiv ist die Analogie aus herabwürdigendem Rassismus, ökonomischer Ausbeutung und gezieltem Massenmord. Andererseits macht die polemische Vorgehensweise deutlich, wie sich US-amerikanische und europäische Sichtweisen der Geschichte unterscheiden können. Während dort der Zugang zum Material über emotionale Beteiligung funktioniert, werden hierzulande Fakten aufgearbeitet. Wo Historiker das Material minutiös ausdifferenzieren, lädt sich Weems die ganze Geschichte auf den Buckel. Mit ihrer Installation bleibt Weems damit zwar weit hinter der Mahnmals-Debatte zurück. Doch im Bethanien entwirft sie mit ihrem Fotoszenario ein Konzept, das die Zwiespältigkeit gesellschaftlicher, politischer und persönlicher Zugangsweisen sichtbar macht.
Bis 23.8. im Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2
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