: Behutsame Befreiung
Der Autor William Nicholson geht in seinem Regiedebüt „Verborgenes Feuer“ dem Drama einer frühen Leihmutterschaft im Zeitalter des Viktorianismus nach ■ Von Alexandra Seitz
Wäre dieser Film aus Stoff, so wäre er wohl aus Samt. Aus einem schweren Gewebe, das, scheinbar sanft und glatt, widerborstig werden kann, wenn man es gegen den Strich streicht. Wenn nämlich Drehbuchautor William Nicholson („Shadowlands“, „Nell“ und „The First Knight“) in seinem Regiedebüt „Verborgenes Feuer“ die Zuschauer eine ganze Weile darüber im unklaren läßt, wovon die drei Personen in dem schwach erleuchteten, kargen Raum eigentlich sprechen, dann bürstet auch er seinen Stoff gegen den Strich der Erzählung.
Die Umstände der Unterhaltung legen nahe, daß es sich – wenigstens 1837 in England – um etwas Skandalöses handeln muß: Der Mann ist hinter einem Wandschirm verborgen und läßt die junge Frau durch eine ältere Vermittlerin zu ihrer Person befragen. In dieser peinlichen Situation, einer Untersuchung gleich, beweist die Frau Mut und Selbständigkeit – und wird ausgewählt, dem anonymen Herrn als Leihmutter zu dienen. 500 Pfund sind ein Vermögen und die Not auf beiden Seiten offenbar groß. Zum Zwecke der Zeugung wird sodann sogar ein anderes Land aufgesucht. Drei Nächte mit verhalten zunehmender Leidenschaft, drei bruchstückhafte, unsichere Konversationen an den Tagen: eine Art von Annäherung.
Dennoch ist für den Aristokraten Charles Godwin (Stephen Dillane) mit Erhalt einer Tochter der Fall erledigt, und er fällt aus allen Wolken, als nach sieben Jahren die Leihmutter Elisabeth Laurier (Sophie Marceau) als Louisas neue Gouvernante in seinem Landgut in Sussex steht. Unvermeidlich, daß sich die sieben Jahre unterbrochene Annäherung fortsetzt; so als müßte der umstandslose merkantile Sex der ersten Begegnung auf beiden Seiten im nachhinein mit „Liebe“ legitimiert werden. Und dann ist da auch noch der Grund für Godwins extreme Form, die Erbfolge zu sichern: Seine seit einem Reitunfall im Koma liegende Frau.
Eine ziemlich schwierige Ausgangssituation für die sich hier entwickelnde Beziehung, und wie dergleichen im England Königin Viktorias zu verlaufen pflegt, glaubt man aus vielen anderen Filmen zu kennen. Charles und Elisabeth aber opfern die Erfüllung ihres Glücks nicht selbstverständlich den gesellschaftlichen Konventionen. Sie resignieren nicht, sondern handeln unauffällig, beherrscht und entschlossen. Die selbstverständliche Ruhe, mit der sie das tun, nimmt für sie ein. Auch gelogen wird nicht und relativ wenig verheimlicht, alle sagen oder zeigen wenigstens allen immer die Wahrheit. Obgleich letztlich unklar bleibt, inwieweit Eigennutz ihr Handeln bestimmt, Gefühl „nur“ die Folge einer Zwangssituation ist und Hierarchien unangetastet bleiben. So sind die am Ende durch die Schneelandschaft davonfahrenden Lastkutschen nicht unbedrückt von Schuld und Verlust. Ihre Väter haben dafür gesorgt, daß Charles und Elisabeth ihr Leben moralisch beschädigt weiterführen müssen, aber wenigstens Louisa hat ihrer sturen Mutter eine Chance zu verdanken.
Aufbruch in eine moderne Sachlichkeit
Die Offenheit, mit der sich hier der Aufbruch in die Moderne ankündigt, ist verblüffend für das Genre „viktorianischer Film“. Verblüffend wie die Zurückhaltung der Inszenierung. Farben, Figuren, Gegenstände, sogar Töne: alles in diesem Film scheint sich im Hintergrund halten zu wollen. Eine Hand greift nach einer anderen, eine Fußspitze schiebt sich unter einem Rock hervor, Kinderfüße steigen auf Männerschultern, Elisabeths Gesicht neben Charles' Unterleib am Feuer, es sind Details und Gesten, sorgsam beobachtete kleine Szenen, geschickt eingesetzte Interieurs, die Figuren charakterisieren und die Handlung vorantreiben. Und in mitunter fast monochromen Bildern wirkt der Blick auf Sonnenstrahlen, die sich in mit farbigem Wasser gefüllten Gläsern fangen, schon fast unwahrscheinlich schön. So schön wie die ruhige blaue Künstlichkeit der kleinen Seehausanlage, die Schauplatz entscheidender Begegnungen ist. Sogar die wohlgesetzten, fast bewegungslosen (!) Sexszenen sind von einer im gegenwärtigen Kino schmerzlich lange vermißten respektvollen Zurückhaltung. „Verborgenes Feuer“ ist bis in die Nebenrollen glänzend besetzt und gespielt, Musik und Rhythmus, Licht und Bild – alles stimmt: Ein Film wie Samt, glatt und weich, dessen Fallstricke und Irritationen einem deswegen vielleicht ein bißchen allzuleicht entgehen können.
„Verborgenes Feuer“. Buch und Regie: William Nicholson. Mit Sophie Marceau, Stephen Dillane, Kevin Anderson, Joss Ackland u.a. Frankreich/Großbritannien 1998, 103 Min.
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