: Der Hafen der Ruhe
■ Im Schatten der Köhlbrandbrücke wartet der Travehafen mit Hamburgs letzten Ewern und meist bewegungslos auf sein Ende Von Hilmar Schulz
Gras wächst zwischen den knirschenden Radspuren. Die Baumzeile zu den Gleisen hat der Südwester zerzaust, Weiden, Holunder und Brombeersträucher wuchern zur Wasserseite. Das Roeluffsufer hinter den alten Ellerhof-Schleusen ist ein Feldweg. Schuten liegen dort und kleine Schlepper, aufgereiht an hölzernen Stegen. Auf den Pontons stehen Holzhäuser, jägergrün und ochsblutrot. Darüber erhebt sich die lange Schanze der Köhlbrandbrücke, über die wochentags unablässig der Strom der Lastwagen dröhnt. Unten dümpeln Baumstämme vor sich hin. Manchmal, sonntags, schreit das Wasserhuhn.
“Der Travehafen ist ein Ruhehafen“: Peter Wiedemeyer vom Amt für Strom- und Hafenbau meint damit die Funktion des rund 18 Hektar großen, abgeschiedenen Beckens. Es ist das Reich der Ewereien, der Wasser-Fuhrunternehmen. Der Na-me stammt aus der Zeit, als Stückgut mit schweren Segelkähnen – Ewern – umgeschlagen wurde. Ihre Schuten und Barkassen liegen hier, bis die Ewerführer Ladung von Seeschiffen löschen, um sie innerhalb des Hafens weiter zu spedieren oder zu lagern. In den Liegern, den schwimmenden Häusern, sind Büros, Aufenthaltsräume und Reparaturwerkstätten untergebracht. Der Travehafen wirkt dörflich.
Seine Geschichte beginnt im Jahr 1907. Für 5,8 Millionen Mark kauft Hamburg den Preußen das Gebiet „Neuhof“ ab, die Insel zwischen Rethe und Rethestieg: Der Weg für die dringend notwendige Hafenerweiterung ist frei. Als Ersatz für den „fernerhin zum Hinlegen von Seeschiffen gebrauchten Oderhafen“, wo zuvor die Flußschiffe parkten, entsteht bis 1914 der neue Hafen.
Die große Zeit des Travehafens beginnt mit den 20er Jahren. Immer mehr Waren passieren Hamburg auf dem Wasserweg. Zucker, Eisen, Getreide, Gummi – die Ewerführer holen und bringen, was ihre Kähne fassen. Sie waren unentbehrlich in einem Hafen, der in weiten Teilen noch keine Landverbindungen besaß. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der Travehafen völlig zerstört – die Nähe zur Kriegswerft Blohm & Voss wurde ihm zum Verhängnis.
Doch schneller als in anderen Hafenbecken konnte der Betrieb wieder aufgenommen werden. Bis in die 70er Jahre blühte das Gewerbe der Ewereien. Mit den Containern kam ihr Niedergang. Auch die modernen Flußschiffe, die ihre Ladung direkt ins Binnenland transportieren, laufen den Travehafen heute nicht mehr an. Auf bis zu 150 Meter Länge sind sie angewachsen, sie passen nicht durch die Einfahrt beim Oderhöft.
“Heute ist nicht mehr viel los hier“, sagt Herbert Bochin schwermütig. Er kommt von einer der vier überlebenden Ewereien. Gegenüber in dem hellen Haus am Roßdamm ist er aufgewachsen. Nun wartet er auf seine Pensionierung. „Noch vor dreißig Jahren fuhren hier überall Schiffe kreuz und quer, da gab es unzählige Firmen.“ Heutzutage sei das größte Ereignis, wenn sich einer von den großen Schleppern in dieses flache Becken verirrt und durch den braunen Giftschlamm wählen muß.
Tatsächlich bewegt sich nichts. Einige Spitzschuten sind mit Mangrovenholz beladen. Im Bauch der quaderförmigen Typschuten lagern Futtermittel. Menschen sieht man selten, mal einen Arbeiter, der eine Barkasse mennigt, oder am Sonntag ein Angler, wenn Sterbensruhe im Hafen herrscht. Wohnen – wie früher, als die Lieger auch Bewachungsstationen für die kostbaren Güter waren – darf heute von Amts wegen niemand mehr im Freihafen; und muß es auch nicht: „Wer soll denn mit einem Arm voll Tierfutter hier rauslaufen?“, fragt Herbert Bochin. Mit den Ewereien geht es zu Ende.
Kai Fritscher hat die Konsequenzen gezogen. Seit Urzeiten waren seine Vorväter Ewerführer. Doch die Firma hat den Betrieb mit den Lastkähnen aufgegeben. „Mit einer Schute verdiene ich 40 Mark pro Tag.“ Nun läßt er die letzten Spitzschuten abwracken. Der Schrottwert beträgt etwa 10.000 Mark. Fritscher Jr. verlagerte sich auf Hafenbau. Mit seinen Pontons transportiert er Brückenteile oder stellt Rammen aufs Wasser. Und das Geschäft geht gut. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die anderen Ewereien aufgeben oder umsatteln müssen; schon heute leben sie von ihrer Substanz.
Was dann aus dem Travehafen wird? „Es gibt für uns keinen Anlaß, etwas zu verändern. Wir brauchen solche Wartehäfen auch in Zukunft“, versichert Peter Wiedemeyer. Vor zwei Jahren kamen jedoch schon einmal Gerüchte auf, die vom Ende sprachen. Herbert Bochin weiß, was passieren wird: „Irgendwann werden die hier alles dichtschütten und Container draufstellen.“ Für die nächsten zwölf Jahre aber bleibt der Travehafen, nach den Plänen des Amts für Strom- und Hafenbau, verschont. Bis dahin werden die Schuten in Ruhe rosten, im Schatten der Lastwagenströme. „Tja, wenn es die Köhlbrandbrücke nicht gäbe“, sagt Kai Ritscher lächelnd, „dann wäre es hier richtig still.“
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