: Vierbeinige Therapeuten
Die „Hippo-Therapie“ stärkt Muskeln, Durchblutung – und die Seele. „Aber sie kostet“, sagen die Krankenkassen ■ Von Heike Dierbach
„Es sieht gar nicht so aufregend aus. Aber es passiert unheimlich viel.“ Sibylle Mai-Statzner wirft einen Blick auf den nußfarbenen Wallach und strahlt. Die 34jährige, die an Multipler Sklerose (MS) erkrankt ist, wird sich gleich auf den Pferderücken wagen. Franz Heese, ihr Kollege aus der Selbsthilfegruppe, dreht bereits seit 20 Minuten seine Runden auf „Shadow“. Jetzt löst er gerade seine Hände von den Haltegriffen, breitet die Arme etwas aus – und strahlt ebenfalls.
Die beiden sind heute zum dritten Mal zur „Hippo-Therapie“ (Krankengymnastik mit und auf Pferden) im Centrum für Therapeutisches Reiten in Öjendorf. „Das Pferd strahlt viel Kraft aus – die wir nicht so haben“, erklärt Mai-Statzner ihre Begeisterung. „Es ist der Schwingungsrhythmus des Pferdes, der dem menschlichen sehr ähnlich ist“, erläutert Fachfrau Heidi Wallert, die das Centrum betreibt, „das Auf und Ab, Vor und Zurück und die Rotationsbewegung des Pferderückens geben wichtige Impulse an die Patienten. Der Oberkörper richtet sich auf, Koordination und Gleichgewichtssinn werden gefördert.“ Im Gegensatz zum heilpädagogischen Reiten, das auch unter den Oberbegriff „Therapeutisches Reiten“ fällt, ist die Hippo-Therapie Krankengymnastik mit und auf Pferden – nicht nur für MS-Kranke. Die Therapie wird seit 20 Jahren unter anderem auch für Querschnitts-, Hirntumor- und HerzpatientInnen eingesetzt. Der Reitsitz entspannt verkrampfte Beinmuskeln, die Durchblutung wird angeregt. „Nicht zu übertreffen“, resümiert Dr. Ingrid Strauß in einer Broschüre der Deutschen MS-Gesellschaft, „ist schließlich die positive Ausstrahlung auf Herz und Sinne unserer Patienten.“
„Kein technisches Hilfsmittel kann das leisten“, schwärmt Franz Heese, der jetzt seine Runden beendet hat, „das Schöne ist halt, daß man es mit einem Lebewesen zu tun hat.“ Zufrieden klopft er Shadow auf den Hals. Der steht geduldig an der Rampe, bis Sibylle Mai-Statzner aufgestiegen ist. Heidi Wallert stützt sie, eine Helferin führt das Pferd im Schritt durch die Halle. Wallert animiert die Patientin, sich auch einmal auf den Rücken zu legen oder vornüber zu beugen. Shadow setzt unterdessen geruhsam Huf vor Huf.
„Nicht jedes Pferd ist als Therapiepferd geeignet“, berichtet Wallert, „es muß inneres Gleichgewicht haben.“ Etwa neun Monate lang bildet sie ein Pferd zum „Co-Therapeuten“ aus – läßt es an der Rampe stehen, über verschiedene Böden laufen und gewöhnt es mit Trommeln und Schreien an plötzliche Geräusche. Den menschlichen Part in der Therapie übernehmen KrankengymnastInnen mit einer Zusatzausbildung.
„Besonders schön sind die Erfolge mit der Hippo-Therapie bei Kindern“, berichtet Wallert, „wenn spastische Kinder dann zum Beispiel stehen und gehen können.“ Das gehe aber nicht von heute auf morgen, sondern erfordere regelmäßiges Üben. Auch Sibylle Mai-Statzner und Franz Heese möchten gerne öfter kommen. Doch die Hippo-Therapie hat einen Nachteil: Sie kostet Geld. Nicht viel zwar, verglichen mit anderen Beträgen im Gesundheitswesen – eine Behandlungseinheit gibt es für rund 50 Mark. Doch die wollen die Kassen seit dem vorigen Jahr häufig nicht mehr zahlen. Sie beziehen sich dabei auf die neuen Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, nach denen die Hippo-Therapie „nicht abrechnungsfähig“ sei. Durch ein Urteil des Bundessozialgerichts vom März 1996 sei dies bindendes Recht – obwohl das Gericht die Reittherapie als wissenschaftlich untermauerte Behandlung anerkannte. Doch der Hamburger Anwalt Franz-Josef Ortner konnte unlängst für einen Klienten die Finanzierung der Therapie gegen die Barmer Ersatzkasse durchsetzen mit der Argumentation, die Richtlinien seien unvereinbar mit dem Sozialgesetzbuch. Demzufolge müssen die Kassen im Einzelfall zahlen, „wenn eine reale Chance zur Erreichung des Behandlungszieles besteht“.
„Wenn man nicht kämpft, bekommt man gar nichts“, kritisiert Wallert, „dabei geht es hier um Menschen, die sowieso schon genug Probleme und nicht viel Kraft haben.“ Für Sibylle Mai-Statzner, Franz Heese und andere MS-Erkrankte ist die Therapie im doppelten Sinne unbezahlbar: Eine 75jährige MS-Patientin reitet seit zehn Jahren – und ist immer noch mobil und kann sich selbständig versorgen, erzählt Heidi Wallert. „Wenn ich die Therapie nicht hätte“, hat sie ihr einmal gesagt, „wer weiß, wo ich jetzt schon wäre.“
Spenden gesucht
Vom Erfolg des Therapeutischen Reitens überzeugt sind auch Alexa Rüdel und Verena Richter vom Verein „Op de Wisch“, der behinderte Menschen betreut. „Viele unserer KlientInnen haben Behinderungen, die dadurch erheblich gebessert werden können“, sagen die beiden Reittherapeutinnen. Doch noch fehlt das Geld zum Kauf der zwei „heißersehnten“ Therapiepferde. Op de Wisch, Borsteler Chaussee 5, 22453 Hamburg; Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft, Kto.Nr. 74 54 4000, BLZ 251 205 10, Stichwort: „Reitprojekt“.
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