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Virtuelle Unruhen

■ Weil die reguläre Landespresse in Malaysia geknebel wird, konnte ein Internet-Gerücht in Kuala Lumpur für nationale Aufregung sorgen

Bangkok (taz) – „All diese Gerüchte sind nichts als Lügen“, schimpfte der malaysische Premierminister Mahathir Mohamad. „Einige Leute haben die Geschichte absichtlich erfunden, um unser Land ins Chaos zu stürzen. Diese Leute sind Landesverräter. Wenn möglich, will ich diese Leute fangen, auf die Straße schleifen und verprügeln.“

Das Gerücht, das den Zorn des 72jährigen Regierungschefs erregte, hatte sich Anfang August blitzschnell über das Internet verbreitet: In der Hauptstadt Kuala Lumpur, hieß es, lieferten sich mit Macheten bewaffnete indonesische Gastarbeiter aus Furcht vor Zwangsabschiebung heftige Straßenschlachten mit der einheimischen Bevölkerung.

Und obwohl an dieser Geschichte überhaupt nichts stimmte, reagierten viele Bewohner panisch: Familien stockten ihre Vorräte auf; in einigen Lebensmittelgeschäften gingen Reis und Nudeln aus; an den internationalen Börsen fiel sogar der Wert der malaysischen Währung Ringgit. Erst als Fernsehen und Radio die Geschichte dementierten, beruhigte sich die Situation. Anfang letzter Woche kündigten dennoch Regierungsmitglieder „allerschärfste Maßnahmen“ gegen die Gerüchteköche an. Wenige Tage später schlugen die Behörden zu: Unter Anwendung des drakonischen Internen Sicherheitsgesetzes (ISA) verhafteten sie zwei junge Malaysier, einen Mann und eine Frau.

Mit Hilfe des ISA können Verdächtige zunächst 60 Tage lang (und bis zu zwei Jahren) gefangengehalten werden, ohne jemals einen Richter oder gar einen Verteidiger gesehen zu haben. Auch Kontakte zu Familie und Außenwelt sind nicht gestattet. – „Wir sind zuversichtlich, noch mehr Leute zu fassen und die Quelle der Gerüchte ausfindig machen zu können – 60 Tage Haft sind eine lange Zeit“, erklärte Polizeichef Abdul Rahim nach der Verhaftung der beiden Verdächtigten.

Dies ist das erste Mal, daß Internet-Benutzer in Malaysia festgenommen wurden. Das ISA allerdings gehört schon seit langem zu den Einschüchterungsinstrumenten der malaysischen Regierung, die damit scharf über die Presse des Landes wacht.

Weil malaysische Zeitungen es nicht wagen, über von der Regierung unerwünschte Themen zu berichten, sind sie meist zum Gähnen langweilig. So ordneten die Behörden letztes Jahr z.B. an, nicht mehr über die Rauchentwicklung infolge der indonesischen Waldbrände zu schreiben, die für die dichte Smogdecke über Kuala Lumpur veranwortlich war. Die Bürgerrechtlerin Irene Fernandes steht seit fast zwei Jahren vor Gericht, weil ihre Organisation Tenaganita die Mißhandlung und den Tod von Gastarbeitern in malaysischen Abschiebelagern öffentlich gemacht hatte. Und erst kürzlich traten zwei prominente Chefredakteure in Kuala Lumpur zurück, nachdem Premier Mahathir den Druck auf vermeintlich „kritische Geister“ verschärft hatte.

Die scharfe Reaktion auf die „virtuellen Unruhen“ (Internationale Herald Tribune) in Kuala Lumpur zeigt auch, wie besorgt die Regierung in den Zeiten der Wirtschaftskrise und nach den schweren Krawallen im Nachbarland Indonesien ist. Offenbar fürchtet sie, daß der Funke überspringt.

In Malaysia, wo neben der malaysischen Bevölkerungsmehrheit rund 30 Prozent Chinesen, zehn Prozent Inder und zahlreiche Volksgruppen leben, ist die Erinnerung an die anti-chinesischen Pogrome der 60er Jahre noch nicht verblaßt. Die Internet-Affäre sei deshalb „eine Frage der nationalen Sicherheit und der ethnischen Harmonie“, sagte Vize-Innenminister Rosli Ghazali. Jutta Lietsch

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