: Flug mit dem Raumschiff Wagenfeld
■ „Design für den Alltag im All“: Das Design-Zentrum und die Gruppe für Gestaltung zeigen eine teilweise faszinierende Ausstellung im Wilhelm-Wagenfeld-Haus, doch Sinnfragen zur bemannten Raumfahrt stellen sie nicht
Klingt pathetisch: „Die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber niemand bleibt auf immer und ewig in der Wiege.“ Dieser Ausspruch stammt nicht vom amtierenden Nasa-Chef oder vom deutschen Raketenbauer Wernher von Braun (1912-1977), sondern vom russischen Physiker und Raketenpionier Konstantin Ziolkowski (1857-1935). Zwar hält sich eine Splittergruppe „Menschheit“ nach dem Ende der Mondflüge vor allem in sicherer Nähe zur „Wiege“ auf, doch Ziolkowski hat Recht behalten. Aufenthalte im All sind für einige Dutzend AstronautInnen und ForscherInnen alltäglich geworden. Noch kreist die russische Raumstation „Mir“ im 90-Minuten-Takt um die Erde, doch in den nächsten Jahren wird sie unter Mitwirkung Bremer Firmen (und Bremer Steuergelder) durch die Internationale Raumstation ISS ersetzt. Auch deshalb wollen das Design-Zentrum Bremen und Kooperationspartner wie die Dasa und OHB schon jetzt in einer Ausstellung unter dem Titel „Design für den Alltag im All“ im Wilhelm-Wagenfeld-Haus zeigen, wie ein All-Tag überhaupt auszuhalten war und ist.
Für DesignerInnen ist die bemannte oder bemenschte Raumfahrt ein noch fast unbestelltes Feld. „Hier wurden die Menschen eher an die Maschinen angepaßt als umgekehrt“, sagte Klaus Berthold, Leiter des Bremer Design-Zentrums, gestern bei der Vorbesichtigung. Doch diese Einschätzung ist nur zum Teil richtig. In den umfassenden Trainings zur Vorbereitung auf die Schwerelosigkeit oder bei der kaum durchschaubaren Gestaltung von Apparaturen trifft sie zu. Doch die meisten technischen oder Design-Fragen stellen sich allein dadurch, daß Menschen überhaupt ins All transportiert werden. Und genau das wird in der Schau indirekt deutlich.
Die mit 350 Quadratmetern relativ kleine Ausstellungsfläche des Wilhelm-Wagenfeld-Hauses ist zum Teil bis unter die Decke gefüllt mit Exponaten. Sie vermittelt so selbst einen Eindruck von der Enge in einem Raumschiff. Unter hohem Zeitdruck und in zahlreichen Nachtschichten haben Bremer JungdesignerInnen der Agentur „Gruppe für Gestaltung“ in den letzten Monaten Original-Raumfahrtzubehör, Bilder, Videos und anderes Material zusammengetragen und im Raumschiff Wagenfeld arrangiert. Auch das ist Entwicklungsarbeit: „Man kann nicht einfach zur Dasa gehen und sich dort in einem Schrank bedienen“, so Berthold. Bei über einem Dutzend Firmen und Organisationen sowie PrivatsammlerInnen sind die AusstellungsgestalterInnen schließlich fündig geworden.
Also werden die BesucherInnen im kleinen Saal im Erdgeschoß durch kleine Modelle der Raumstaton Mir oder des Space-Shuttle begrüßt. Im Hof wurde ein größeres Modell eines Shuttle namens „Falke“ aufgestellt, und dahinter verweist eine riesige Skizze der Station ISS auf die nahe Zukunft nach der Jahrtausendwende. Vom Saal aus führt der Rundgang in den ersten Stock und in die eigentliche Ausstellung, die ihrem Thema „Mensch im All“ alias Design für den Aufenthalt im All nicht durchgängig treu bleibt.
Denn vor dem Menschen kommen auch hier erstmal Maschinen. Fotos von Raketenstarts und ein Modell der Ariane 5 sind da zu sehen und Modellen von Science-Fiction-Raketen aus dem DEFA-Archiv gegenübergestellt. Diese Montage aus Original und Fiktion, aus tatsächlicher Raumfahrt und Phantasterei zieht sich durch die ganze Präsentation. Sie ist wohl als Ironisierung gemeint, wie eng Pathos mit diesem Thema verbunden ist.
Nach einer Fülle von Fotos, auf denen endlich auch AstronautInnen zu sehen sind, liefert eine Sammlung von Zeitungsrepritns einen so spannende wie eindrucksvolle Chronologie der wenigen Jahrzehnte seit dem Sputnik-Start. Jetzt, im Obergeschoß, folgt eine Zusammenstellung von All-Tags-Design: Das Spektrum reicht von Astronauten-Unterwäsche und Raumanzügen bis hin zum Astro-Food, in dem ein gelbes Dingsbums sich mit Wasser in Blumenkohl mit Käse verwandeln läßt und ein gestreiftes Dingsbums laut Verpackung ein Hühnerschnitzel werden soll. Diese Gegenstände und auch die zwei Design-Diplomarbeiten eines Videosystems für den Orbitalaufenthalt oder einer neuen Raumschiffmöblierung sind nur entstanden, weil es einmal einen „Wettlauf“ ins All gab und heute weiter daran festgehalten wird, daß Menschen ihre „Wiege“ verlassen wollen. All das ist so eindrucksvoll wie faszinierend. Staunend steht man vor einem Videofilm eines Außenbord-Einsatzes und hört dem Tempowechsel im Atmen des Astronauten zu.
Doch Sinnfragen werden in der Ausstellung nicht gestellt. Statt dessen schließt sie mit Ausblicken auf Pauschalurlaube in Raumstationen und auf dem Mond. Die politische Diskussion zum Thema bemannte Raumfahrt ist jedenfalls verstummt. Und so konnte der Lieter Orbitalsysteme und Betrieb bei der Bremer Dasa sich gestern freuen: „Es gelingt uns selten, daß Unbeteiligte 20 Minuten lang positiv über Raumfahrt reden.“ Andere Töne sind im Wagenfeld-Haus nicht zu erwarten.
Christoph Köster
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