: Ein Lody Roembiak und viel Frust
Werder verliert gegen 1. FC Nürnberg und weckt in der Nordgerade Erinnerungen an die schlechte alte Zeit ■ Von Ian Watson
Der Fußball kommt nach Haus. Das Kribbeln im Bauch der letzten Tage, das der fieberhaften Lektüre sonst verpönter Sportzeitungen im Frankreichurlaub folgte, hat ein Ende. Die Ostkurve platzt und ist gut in Stimme. Nur in Block 8 beim Bildungsbürgertum sind die Reihen noch gelichtet. Sind wirklich um die 10.000 Bremer noch im Urlaub, oder kriegen wir in den nächsten Monaten – wie zu oft in der letzten Saison – Dutzende von hämischen auswärtigen Fans auf diesen Plätzen direkt vor die Nase gesetzt? Muß das sein, Willi, wenn wir im Jahr so viel für die Dauerkarte ausgeben? Ost tobt, Nord nörgelt: die üblichen Prämissen also für einen genüßlichen Erfolgsabend. Wir hätten es doch früher ahnen müssen, als Marco Bode in den ersten vier Minuten dreimal Scheiße baute. Aber wir wollten es nicht wahr haben und ließen uns einlullen, bis uns die Nürnberger – Pavel Kuka und zehn Zweitligisten – in der 19. Minute zeigten, daß man die viel gepriesene optische Überlegenheit eigentlich in die Pfeife stecken kann.
Der Vorteil des Freitagsspiels ist, daß man die Berichterstattung überschlafen kann; so entgeht man dem emotionalen Versuch, unüberlegte, wütende Gehässigkeiten über die Tastatur gleiten zu lassen. Am kühlen, ausgeschlafenen nächsten Morgen fallen einem nämlich viel überlegtere Gehässigkeiten ein. Håvard Flo, zum Beispiel: Der Gott, der es uns so leicht macht, Fußballatheist zu sein. Oder Torsten Frings: das ewige Talent von morgen.
Es war ein bekanntes Muster, ein Spiel von drei Halbzeiten: eine hübsche erste Halbzeit; dann 30 Minuten Grausamkeit gefolgt von einer Endphase der Verzweiflungstaten, in der unter anderem Frank Rost, der sonst den Dingens vergessen ließ, sich genötigt sah, den Part des 'Wannabe'-Libero zu spielen. Bloß bei Schmeichel und Lehmann ist einem irgendwie weniger mulmig im Bauch ...
In der Halbzeit herrschte in Block 8 Ärger und Erstaunen, daß diese Gastmannschaft so frei in der Werder-Hälfte herumlaufen und solche Tore so leicht schießen durfte. Sonst war der Höhepunkt der Pause die Tatsache, daß das Männerklo in der Nordgerade zugeschlossen war. So pinkelten wir in Scharen gegen den Zaun Richtung Osterdeich, und alle versuchten vergebens einen Streifenwagen zu treffen, der zu weit weg geparkt war. Sind wir in Bremen inzwischen so leicht zufriedenzustellen? Gleich kam es noch schlimmer. Bezeichnend war ein Freistoß am Dreieck Torlinie/Strafraum (48.), der an allen außer an einem Ordnerhund vorbeisegelte, der als einziger in dieser Phase Biß zeigte. Ja, das sind die bekannten Werder-Spielphasen, wo nur die eigene angestaute Aggression dich vor der Langeweile schützt. Eine Peinlichkeit jagte die nächste: Konfusion bei der Auswechslung; Todts rote Karte; genug Kerzen auf beiden Seiten für den ganzen Weihnachtsmarkt.
Im Zeitalter der wieder entdeckten Schlaghose müssen die älteren Zuschauer nostalgische Erinnerungen an die magerköstlichen 70er Jahre gehabt haben, wo wir solche Spiele reihenweise sahen. Kellerderby pur, der sechzehnte gegen den siebzehnten, SV Hühnerhaufen gegen FC Gurkentruppe. Traben oder kopfloses Herumrennen, Seitwärtsgeschiebe, Rückpässe.
Aber der eine große Lichtblick ist Lody Roembiak. Am besten wäre es, das Spiel und dessen sonstige Berichterstattung gänzlich zu vergessen und nur eine Lobeshymne auf diesen wunderbaren Mann zu schreiben. The man is magic: Überblick, Spielwitz, Ballsicherheit, Dynamik, Blick für den Mitspieler. Die Flanke zum 2-1 und ein steiler Pass auf Frings verschlugen uns den Atem. An ihm werden wir wahrlich unsere Freude haben – auch wenn er uns streckenweise leid tat. „Wo bin ich bloß jetzt gelandet?“ wird er sich gewiss öfter gefragt haben.
Es gab aber auch andere – wenn schwächere – Lichtblicke: Dieter Eilts, der wieder wie ein Kapitän spielte, auch wenn er keiner mehr ist. Seine Reaktion, als er glaubte, Roembiak sollte ausgewechselt werden, war toll; er tobte und schrie wie ein Berserker in Richtung Bank – ganz der mündige Spielertyp, den alle verlangen. Und dann war die Tatsache, daß gegenüber der letzten Saison Dieter Frey wirklich an Geschwindigkeit gewonnen hat – auch wenn er in der zweiten Halbzeit merklich abbaute. Ja – und Rost, trotz der Gegentore.
Die Situation ist längst stammtischwiedergekäut: Werder hat niemand, der Tore schießen kann; und dann das Lazarett. Aber Ausreden helfen nichts. Die traurige Tatsache ist, daß die Mannschaft, wenn sie in dieser Form bleibt, ein klarer Abstiegskandidat ist. Nürnberg übrigens auch.
Der irische Schriftsteller Ian Watson ist seit 1972 Dauerkarteninhaber beim SV Werder. Er arbeitet als Dozent für englische Sprache und Literatur an der Universität Bremen
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