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Fußball aus der Enge des Raumes

Beim 1:1 zwischen dem SC Freiburg und Bayer Leverkusen brillieren beide Teams mit taktisch wie technisch hochwertigem Spiel und zwei wunderhübschen Toren  ■ Aus Freiburg Ulrich Fuchs

Eigentlich ist es ein Widerspruch. „Die Räume eng machen, und da gut spielen“ – so hat Olaf Thon unlängst im taz-Interview die Anforderungen an modernen Fußball definiert. Ein Merksatz, der auf die systemimmanente Problematik der Fußball-Moderne verweist. Die Räume werden eng gemacht, damit der Gegner nicht ins Spiel kommt. Diese Enge umgekehrt trotzdem als Ort der Kreativität zu erkennen und zu nutzen – erst das ist der Qualitätssprung, der in die Zukunft des Spiels führt.

Bayer Leverkusen und der SC Freiburg sind zwei Teams, die sich diesem Fußball aus der Enge des Raumes verschrieben haben. Was die Sache beim direkten Aufeinandertreffen nicht leichter macht. Im Gegenteil. Die Begegnung am Samstag bezog ihre Attraktivität deshalb auch über weite Strecken aus ihrem taktischen Lehrstück- Charakter. Und sie litt darunter, daß beide Mannschaften eindrucksvoll demonstrierten, wie intelligente Defensivarbeit dem Spielwitz zusetzen kann.

Daß das 1:1 trotzdem ein Remis der sehenswerteren Art war, hatte seinen Grund in der Beharrlichkeit, mit der hüben wie drüben auch an der Idee vom eigenen Offensivspiel festgehalten wurde. Egal wie oft der Ball beim Versuch, ihn mit kurzen Pässen nach vorne zu tragen, schon auf halber Strecke verlorenging, egal wie oft sich die Mittelfeldakteure beider Seiten in der Überzahl der pressenden Gegenspieler verhedderten – Kompromisse in der Spielanlage wurden keine eingegangen. Nicht mit langen Schlägen nach vorne, nicht mit Verzweiflungs-Dribblings oder Fernschüssen und nicht mit blinden Flanken.

Schon nach 20 Minuten war deshalb klar: Die Zone der Entscheidung war das zentrale Mittelfeld. Die Stürmer beider Seiten waren bei den Abwehrreihen in sicherer Verwahrung, an den Flügeln neutralisierten sich auf der einen Seite Freiburgs Kohl und Leverkusens Heintze, auf der anderen Frontzeck und Reeb. Nur der Ausgang des Duells im Zentrum des Spiels stand ständig auf der Kippe: Leverkusen drohte Gefahr durch das (noch) flexiblere Positionsspiel der Freiburger Pavlin, Baya und Günes; Freiburg durch das Übergewicht an individueller Klasse bei Beinlich, Zé Roberto und Emerson. Die wenigen Chancen entstanden aus Kontersituationen (Iaschwili, 21. Minute), durch kluge kurze Anspiele aus dem Zentrum (Emerson, 35.) oder nach Standardsituationen (Beinlich, 36.).

Weil Bayer-Coach Christoph Daum das zu wenig und er „enttäuscht“ war vom nur verhaltenen Offensivdruck seiner Elf, wurde zur Pause gewechselt: Nico Kovac kam für Heintze, Zé Roberto wechselte zur Stärkung der Flügelarbeit nach links. Auf der anderen Seite verschob auch Freiburgs Trainer Finke die Ausrichtung des Spiels dezent in Richtung Offensive, als er den exzellenten Laufarbeiter Günes für den Stürmer Ben Slimane vom Platz nahm und Weißhaupt ins Mittelfeld zurückbeorderte (62.). Beides Maßnahmen mit Wirkung. Nach einer Kopfballverlängerung von Ben Slimane hatte Weißhaupt freien Weg zum Tor. Als alle den Schuß erwarteten, drehte er noch einmal nach innen, legte quer auf Iaschwili: 1:0. (71.) Schon beim Gegenzug war Freiburg in höchster Not. Aber Emerson vergab freistehend die präzise Flanke von Beinlich. Zwei Minuten später setzte sich Zé Roberto links gegen Kohl und Pavlin durch, seinen wunderbar nach innen gezirkelten Ball nahm Beinlich mit einem nicht weniger sehenswerten Volley ab – 1:1. Kapitän Michael Frontzeck faßte das aus Freiburger Sicht in einem Satz zusammen: „Für diese junge Mannschaft war das heute eine taktisch erstaunlich reife Leistung.“ Christoph Daum mäkelte, daß seine Elf den anfänglich spürbaren „Respekt der Freiburger“ vor der Bayer-Elf nicht effektiver genutzt hatte.

Den Sonderpunkt der Woche hat sich sein Team trotzdem verdient. In den Prämienverhandlungen hatte der Mannschaftsrat ein revolutionäres Angebot unterbreitet: Zwar will man für Siege noch mal mehr als früher draufgepackt haben, dafür aber für Unentschieden künftig keinen Gehaltsaufschlag mehr einstreichen. Nicht daß man sich nach dem prämienfreien Remis in Freiburg jetzt Sorgen um die Leverkusener Kicker machen müßte – aber ein professionelles Bekenntnis zum Offensivspiel ist dieser Regelung nicht abzusprechen. Und das ist beileibe nicht nichts im deutschen Fußball.

Bayer Leverkusen: Matysek – R. Kovac, Nowotny, Happe – Reeb, Emerson, Zé Roberto, Beinlich, Heintze (46. N. Kovac) – Kirsten (83. Meijer), Rink (83. Reichenberger)

Zuschauer: 22.500; Tore: 1:0 Iaschwili (71.), 1:1 Beinlich (74.)

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