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In Lateinamerika beginnt das Zittern

■ Mittel- und Südamerika geraten trotz teilweise stabiler Wirtschaftslage immer stärker in den Abwärtssog der Asienkrise

Mexiko-Stadt/Rio de Janeiro (dpa) – Die lateinamerikanischen Börsen und Devisenmärkte geraten immer stärker in den Sog der Asienkrise. Angeführt von Caracas (minus 8,33 Prozent) und Buenos Aires (minus 7,83 Prozent) erlebten die Aktienbörsen des Subkontinents zum Wochenschluß einen Rückschlag. Seit Jahresbeginn haben die wichtigsten Indizes bereits Verluste zwischem 25 und 60 Prozent erlitten. Die Politiker der meisten Länder betonen aber, daß ihre Volkswirtschaften im Prinzip solide seien und nur unter auswärtigen Einflüssen litten.

Neben einem allgemeinen Mißtrauen gegenüber den sogenannten aufstrebenden Märkten der Schwellenländer beunruhigten in der vergangenen Woche Abwertungsgerüchte in Venezuela die Investoren. Das traditionelle Ölland, das 75 Prozent seiner Devisenerlöse mit dem Erdölexport verdient, leidet darunter, daß die Rohölpreise wegen der Asienkrise in den Keller gefallen sind. Außerdem sorgen die Präsidentenwahlen im Dezember, bei denen der unberechenbare frühere Putschist Hugo Chavez die größten Chancen hat, für Unruhe. Planungsminister Teodoro Petkoff schloß bisher eine Abwertung des Bolivar aus.

In Mexiko, das 1994/95 eine schwere Währungskrise durchlitten hatte, ist die Abwertung hingegen schon Realität. Anders als in Venezuela oder Brasilien gibt es keine feste Interventionsobergrenze für die Landeswährung. Der Peso orientiert sich tagtäglich an Angebot und Nachfrage – und fiel dabei allein am Freitag zum US-Dollar um 4,6 Prozent zurück. Seit Jahresanfang ergibt sich eine Abwertung von mehr als 17 Prozent. Auch Mexiko bekommt als Ölexporteur den Preisverfall zu spüren, und wie in Venezuela mußte die Regierung von Präsident Ernesto Zedillo die Staatsausgaben in diesem Jahr schon mehrfach zusammenstreichen. Wegen der starken Abwertung des mexikanischen Peso wird eine höhere Inflation erwartet. Präsident Zedillo forderte von den Mexikanern „Gelassenheit und Vertrauen“. Die Fundamente der Volkswirtschaft seien grundsolide.

Zedillos brasilianischer Amtskollege Fernando Henrique Cardoso hofft unterdessen, mit Hilfe der Devisenreserven von mehr als 70 Milliarden US-Dollar einer Abwertung zu entgehen und den Real innerhalb der festgelegten Bandbreite zu halten. Doch die Verteidigung des Real hat ihren Preis: Die realen Zinssätze sind die höchsten der Region und würgen die Konjunktur nahezu ab.

Die Wirtschaft wächst in diesem Jahr voraussichtlich nur noch um 1,8 Prozent – angesichts von Massenarmut, Arbeitslosigkeit und schnellem Bevölkerungswachstum viel zu wenig.

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