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Auf der Suche nach Higgs

Hamburg soll einen milliardenteuren neuen Beschleuniger bekommen: DESY-Wissenschaftler und SPD sammeln Argumente gegen Zweifler an dem gigantischen Projekt  ■ Von Christine Holch

Oberirdisch beeindruckt das DESY, das Deutsche Elektronen-Synchrotron Institut in Bahrenfeld, keineswegs: eine Ansammlung von Bürogebäuden und undefinierbaren Hallen. Die sieben Stockwerke unter der Erdoberfläche hingegen imponieren schon. Ein Schild blinkt hier rot und hektisch „Magnetische Strahlung“, ein anderes warnt vor Hochspannung. Hier verläuft HERA, die 6,3 Kilometer lange Hadron-Elektron-Ring-Anlage. Darin werden, beschleunigt von starken elektrischen Feldern, Atompartikel aufeinandergehetzt. Unteilbare Elektronen durchlöchern fette Protonen, so daß deren Teilchen, die Quarks, nur so durch die Gegend spritzen. Sehen können das Besucher des DESY nicht, sie hören nur die hundert Pentiumrechner summen, die die Bahnen der Quarks analysieren.

1500 Beschäftigte und 3100 Gastwissenschaftler aus 35 Nationen erforschen hier den Aufbau der Dinge. Das DESY ist neben Holsten und der Post einer der größten Arbeitgeber in Altona. So ein großer Betrieb braucht einen Ansprechpartner, sagte sich Olaf Scholz, SPD-Bundestagskandidat für Altona, und besichtigte jetzt das Forschungszentrum. Und die Leiter des DESY nahmen sich Zeit: Sie brauchen schließlich einen guten Draht zum Bundestag.

Denn in Bonn wird entschieden, ob das Institut mehrere Milliarden bekommt für den Bau eines neuen, künftig weltgrößten Teilchenbeschleunigers. Sein Kosename TESLA: TeV-Energy Superconducting Linear Accelerator. Eine Röhrenanlage, 33 Kilometer lang, von Bahrenfeld bis weit unter den Kreis Pinneberg. Kein Ring diesmal, sondern ein gerader Tunnel, denn in den Kurven verlieren die Teilchen zuviel Energie.

Gigantomanie! Diesen Vorwurf wollte Bundestagskandidat Scholz gar nicht erheben; Forschungsdirektor Albrecht Wagner widerspricht ungefragt: „Diese Größe gibt uns die Natur vor. Wenn Sie was sehr Kleines sehen wollen, brauchen Sie sehr kurze Wellenlängen, viel kürzer noch als im Elektronenmikroskop. Für kurze Wellenlängen braucht man viel Energie. Kurz: Je kleinere Sachen Sie sehen wollen, um so größere Beschleuniger und Nachweisgeräte brauchen Sie.“

Nur, wozu ist das nütze? Auch diese Frage lag Olaf Scholz nicht auf der Zunge. Wagner beantwortet sie trotzdem: „Grundlagenphysik kann sich nie im voraus rechtfertigen.“ Höchstens rückblickend. Auch der Herr Röntgen habe den Nutzen von Röntgenstrahlen nur deswegen entdeckt, weil er, gänzlich zweckfrei, die Eigenschaften von Kathodenstrahlung untersuchte. Unbeirrbare Zweifler lockt Forschungsdirektor Wagner mit dem Wort „Urknall“. In TESLA sollen Elektronen und Positronen mit annähernd Lichtgeschwindigkeit aufeinanderknallen, so daß sie sich in einer Art Mini-Urknall zu reiner Energie verdichten. Dabei entsteht wieder neue Masse. Die DESYaner hoffen zum Beispiel, daß sie bei diesem Knall ein ganz bestimmtes Teilchen erzeugen und untersuchen können, das Higgs. Gesehen hat es noch niemand, nur errechnet worden ist es.

Zwar werden noch einige Jahre vergehen, bis es unter Pinneberg kracht, aber schon jetzt arbeiten bei DESY WissenschaftlerInnen aus zehn interessierten Nationen mit Hochdruck an einem Prototyp. Um die Kosten kalkulieren zu können und die technische Machbarkeit zu überprüfen. Wie zum Beispiel läßt sich eine so lange Strecke herunterkühlen auf nur zwei Grad über den absoluten Nullpunkt?

Und man sammelt Argumente. Das „Institut für Allokation und Wettbewerb“ an der Hamburger Universität soll jetzt herausfinden, welche positiven wirtschaftlichen Effekte ein solches Großprojekt für Deutschland haben könnte. Die Bevölkerung der Ortschaften, unter denen die Röhre verlaufen soll, hat sich auf diversen Gasthaus-Sitzungen bereits überzeugen lassen. „Manchmal erschüttert mich diese Begeisterung geradezu“, meint Albrecht Wagner. Es liegt wohl an dem Zauberwort „Urknall“.

Auch Olaf Scholz will sich für das Projekt einsetzen. Und so hörte er denn auch aufmerksam zu, als ihm die Institutsleiter von finanziellen Problemen erzählten. Derzeit bekommt das DESY als öffentliche Einrichtung 290 Millionen Mark pro Jahr; 90 Prozent zahlt der Bund, zehn Prozent Hamburg; weitere Millionen steuern ausländische Partner bei. Wie alle anderen wissenschaftlichen Institute muß sich auch das DESY an die Sparvorgaben des Bundes halten, würde aber gern innerhalb dieser Grenzen flexibel über das Geld entscheiden können; indem zum Beispiel jetzt junge WissenschaftlerInnen eingestellt werden und nicht erst 2006, wenn die erste Forschergeneration in Rente geht.

Schließlich muß in den nächsten Jahren eine große Herausforderung bewältigt werden: Bonn muß überzeugt werden, daß der neue Beschleuniger in Deutschland gebaut wird – und nicht in den beiden Spitzentechnologie-Ländern Japan und USA. Die liegen mit ihren Vorbereitungen für einen Mega-Beschleuniger derzeit gleichauf mit Hamburg.

Die DESYaner glauben aber, daß ihr Projekt ein höheres wissenschaftliches Potential habe, weil es doppelt genutzt werden könne: von Teilchenphysikern einerseits, aber auch von Geophysikern, Molekularbiologen und Oberflächenfor-schern. Die nämlich beschäftigen sich mit der Synchrotronstrahlung. Das ist elektromagnetische Strahlung, die bei der Beschleunigung von Elektronen entsteht. Anhand dieser Strahlung kann man die Struktur der Materie in atomaren Dimensionen untersuchen, zum Beispiel die Struktur von Biomolekülen wie Kristallen.

Ob die Milliardenpläne des DESY Wirklichkeit werden, hängt nun von Bonn ab. Und von den Hamburger Abgeordneten dort. „Irgendein Land muß über die Schwelle springen und mindestens die Hälfte des Geldes zusagen“, meint Forschungsdirektor Wagner, „dann machen auch die anderen Nationen mit.“ Denn eins ist allen klar: Mehr als eine solch gigantische Anlage wird nicht finanziert werden können.

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