: Die Bahn kommt nicht zum Zug
Im Regionalverkehr fahren statt der Bahn AG immer öfter andere Anbieter. Sie sind meist günstiger und ziehen mehr Fahrgäste an ■ Von Michael Schwager und Bernhard Pötter
Berlin (taz) – Während die Deutsche Bahn AG (DB) das Angebot bei Fern- und Nahverkehrszügen drastisch reduzieren will, setzen andere Anbieter auf das gegenteilige Konzept: Mit Verbesserungen des Bahnangebots laufen beim Regionalverkehr immer häufiger private Anbieter dem Quasi- Monopolisten Deutsche Bahn den Rang ab. Die „nichtbundeseigenen“ (NE-)Bahnen sind vor allem in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein ein großer Erfolg.
Im „Ländle“ bewältigen NE- Bahnen in diesem Jahr bereits zwölf Prozent des gesamten Nahverkehrs auf der Schiene. „Baden- Württemberg ist eindeutig führend beim Anteil der NE-Bahnen am Nahverkehr“, freut sich Nicole Razavi, die Sprecherin der „Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg“ (NVBW). Die NVBW habe seit 1993/94 das Bahnangebot um rund 25 Prozent auf 52,4 Millionen Zugkilometer pro Jahr gesteigert.
Auch Schleswig-Holstein hat gerade mehrere Strecken an private Betreiber vergeben und wird im Jahr 2000 einen ähnlichen Anteil der Privaten am Nahverkehr erreichen. In Niedersachsen werden es bis 1999 etwa neun Prozent sein, Bayern erreicht Ende des Jahres mit der Übernahme von ehemaligen DB-Strecken südlich von München einen NE-Anteil von zwei Prozent. In den neuen Bundesländern dagegen entscheiden sich die Verkehrsministerien allerdings im Zweifel doch eher für die frühere Reichsbahn als für einen fremden Betreiber.
„Seit 1996 haben die Länder 30 Millionen Zugkilometer zum Betrieb ausgeschrieben. In 60 Prozent der Fälle hat die Deutsche Bahn AG den Zuschlag erhalten“, sagt Bahn-Sprecher Hartmut Sommer. Damit bekommt die private Konkurrenz etwa fünf Prozent vom gesamten Schienenverkehrskuchen ab. Der Betrieb von Regionalstrecken ist durchaus attraktiv, weil der Bund den Ländern jährlich zwölf Milliarden Mark dafür überweist.
Die Deutsche Bahn AG hat ihr Angebot beim Nahverkehr im Vergleich zum Fahrplan 1993/94 immerhin um 9,7 Prozent auf 530 Millionen Zugkilometer erhöht. Die private Konkurrenz hat nach Angaben des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) im gleichen Zeitraum ihren Service auf 34 Millionen Kilometer mehr als verdoppelt. Besonders günstig ist das Klima für die Privaten im Südwesten. Dank der Unterstützung des Landes haben kleine Unternehmen wie die Württembergische Eisenbahn Gesellschaft, die Hohenzollerische Landesbahn oder die Südwestdeutsche Verkehrs AG bis heute überlebt. Sie standen nach der Bahnreform für neue Aufgaben bereit.
Die NE-Bahnen konnten oft ein günstigeres Angebot abgeben als die Bahn AG. Kleine regionale Bahngesellschaften arbeiten meist flexibler und effizienter als die verbeamtete Staatsbahn. Oft ist der Lokführer zugleich auch Rangierer oder Fahrkartenverkäufer. Schnelle und bequeme Diesel- Leichttriebwagen vom Typ Regio- Shuttle haben oft die alten DB- Züge ersetzt.
Derzeit prüft das Land die Preisangebote für mehrere Nebenstrecken im Raum Ulm, in der Gegend von Pforzheim und im Schwarzwald. Dort wird unter anderem ein Betreiber für den geplanten Bahnring Schwarzwald- Baar-Heuberg gesucht. Auch Regionalbahn-Leistungen rund um Basel werden ausgeschrieben.
Mit den Zugkilometern steigen auch die Fahrgastzahlen. NVBW- Auswertungen ergaben, daß seit der Bahnreform an Werktagen rund zehn Prozent mehr Reisende den Schienennahverkehr benutzen, am Wochenende sind es sogar über 20 Prozent, auf einzelnen Abschnitten sind teilweise bis zu 50 Prozent mehr Fahrgäste unterwegs als noch 1995. Ein wesentlicher Grund dafür: Die zunehmende Konkurrenz senkt das Preisniveau im Regionalverkehr.
So wurde der DB AG vor allem bei Ausschreibungen in Brandenburg schon vorgeworfen, nur mit unrealistischen Dumping-Angeboten den Zuschlag für den Betrieb von Bahnstrecken ergattert zu haben. Peter Westenberger, Verkehrsexperte des BUND, berichtet von „rüden Methoden“ der Bahn, die Privaten in Schach zu halten: „Den Herstellern werden die Waggons weggekauft, oder im Ausbesserungswerk finden sich für die NE-Bahnen keine Termine.“ Den Grundgedanken von mehr Wettbewerb im Regionalverkehr, wo die Bahn 50 Prozent ihrer gesamten Fahrleistung für insgesamt 90 Prozent ihrer Kunden erbringe, hält Westenberger für richtig. Denn „die Bahn bewegt sich nur unter Druck“.
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