: Das Ikea-Prinzip
■ Die neuen Fälle des „Kommissar Beck“ sind Schweden-Krimis nach Baukastenart: Ansehnlich, aber wenig facettenreich (22.35 Uhr, ARD)
Die Produktion und Ausstrahlung von sechs Filmen nach Kriminalromanen des Autorenpaares Per Wahlöö und Maj Sjöwall brachte RTL 1994 und 1995 vorzeigbare Meriten ein. Unter anderem erhielten Maj Sjöwall und Hauptdarsteller Gösta Ekman je einen Grimme-Preis. Koproduzent auf schwedischer Seite war Ole Søndberg, und er nimmt dieselbe Funktion auch bei einem zweiten Zyklus von „Kommissar Beck“-Filmen wahr, deren erste Staffel bereits im April und Mai ausgestrahlt wurde. Von dieser personellen Kontinuität abgesehen, hat sich freilich allerhand geändert. „Kommissar Beck – Die neuen Fälle“ basiert nicht mehr auf Romanvorlagen. Entwurf und Drehbücher stammen von Rolf Börjlind; der neue Hauptdarsteller heißt Peter Haber, und Partner auf deutscher Seite ist die ARD-Tochter Degeto. Während Sjöwall und Wahlöö noch vergleichsweise alltägliche Vergehen zum Anlaß für kritische Gegenwartsbeschreibungen nahmen, neigt Börjlind zum spektakulären Verbrechen und zielt um des puren Nervenkitzels willen mitunter direkt auf den Degout der Zuschauer.
In der zweiten Staffel der „neuen Fälle“ wird Beck mit Geheimdienstverschwörungen konfrontiert, findet einen Maulwurf in den eigenen Reihen und muß gegen mordlustige Jugendliche ermitteln, die Videospiele in blutige Realität umsetzen. In der heutigen Folge bekommt er es gleich mit einem, so der Untertitel, „Monster“ zu tun. Nach einer anonymen Bombendrohung wird ein angeblich mit TNT gefüllter Koffer sichergestellt. Man verfährt nach Vorschrift: Da der Inhalt des Koffers nicht verifiziert werden kann, läßt ihn der Bombenexperte sprengen. Bei der anschließenden Untersuchung machen die Techniker eine grausige Entdeckung: Der Koffer enthielt keine Explosivstoffe, sondern ein Baby. Eine knifflige Aufgabe für Beck, Motive für die perfide Tat zu finden ...
Formal wie inhaltlich ist diese Neuauflage auf der Höhe der Zeit – es gibt die gewollt fahrige Handkamera wie in „N.Y.P.D. Blue“, lange Plansequenzen wie in „Emergency Room“, unorthodoxe Schnittfolgen wie in „Homicide“. Damit wird aber auch die Crux europäischer und speziell deutscher Fernsehkrimis deutlich – die Vorbilder bleiben erkennbar, deren Originalität und Geschlossenheit wird jedoch selten erreicht. Die schwedisch-deutsche Koproduktion überragt ohne Frage den deutschen Durchschnittskrimi, kann aber ihren Eklektizismus – bis hin zur völlig unnötigen „Twin Peaks“-Paraphrase des Komponisten Ulf Dageby – nicht verhehlen und erreicht nie die dramatische Dichte einer regulären „Homicide“-Episode. Wo beispielsweise Rolf Börjlind plakativ Medienschelte betreibt, hätte in „Homicide“ ein facettenreicher Diskurs eingesetzt.
Die Kriminalfälle sind geschickt gebaut, die technischen Mittel werden virtuos gehandhabt, das Ergebnis ist ansehnlich. Um so bedauerlicher, daß Figuren und Geschichten nicht tiefbödiger geraten sind. Harald Keller
Weitere neue Beck-Fälle:
5.9., 22.40 Uhr; 9.9., 22.25 Uhr; 26.9., 22.25 Uhr
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