: Biffo und die Oma des Hurling-Spielers Von Ralf Sotscheck
Der erste Sonntag im September ist ein Höhepunkt im irischen Sportkalender. Seit mehr als hundert Jahren findet an dem Tag das Endspiel im Hurling statt, einer Sportart, in der die Iren unschlagbar sind, weil sie sonst nirgendwo gespielt wird. In diesem Jahr mußte das Finale jedoch um eine Woche verschoben werden, und die Gründe dafür werden erregter debattiert, als der Besuch des US- Bombers Bill Clinton. Hurling ist das schnellste Feldspiel der Welt. 15 Spieler versuchen, einen kleinen Lederball mit Hand, Fuß oder Eschenholzschläger in das gegnerische Tor zu befördern. Das zählt drei Punkte. Geht der Ball über die Querlatte zwischen den verlängerten Pfosten hindurch, gibt es einen Punkt. Die Meisterschaften sind eine gesamtirische Angelegenheit, an der auch die sechs nordirischen Grafschaften teilnehmen.
Clare, der Titelverteidiger aus dem Westen der Insel, war zwar erneut Favorit, aber unbeliebt. Das kam so: Im Viertelfinale gegen Waterford zog Starspieler Colin Lynch unbemerkt vom Schiedsrichter seinem Gegenspieler den Hurley – das ist der Holzschläger – über den Schädel, was selbst gemäß den recht großzügigen Regeln verboten ist. Der Verband, die Gaelic Athletic Association (GAA), deren Vorstandsmitglieder vermutlich schon bei der Gründung 1884 dabei waren, gehen dennoch mit der Zeit und lassen Fernsehbilder als Beweis zu – und die waren in Lynchs Fall so eindeutig, daß sie ihn vor das Sportgericht zitierten. So weit alles normal. Doch dann griff der tollwütige Trainer Ger Loughnane ein. Er versuchte erst vergeblich, die Verhandlung durch ein ordentliches Gericht verbieten zu lassen, dann erschien er vor dem Sportgericht ohne Lynch und antwortete auf Nachfrage des Verbandsrichters nach dem Verbleib des Keulenschwingers: „Sag ich nicht.“ Die GAA sperrte Lynch für drei Monate, woraufhin Loughnane flugs eine Pressekonferenz einberief und behauptete, der herzlose Verband hätte den Spieler gesperrt, weil er der Verhandlung ferngeblieben sei, obwohl ihn das Schicksal gerade schwer getroffen habe: Die Großmutter sei schwer erkrankt, die Ärzte hätten bereits die Beatmungsmaschinen abgeschaltet. Die Reporter waren empört, einer vermeldete im Radio sogleich den Tod von Oma Lynch. Die lebte aber noch. Loughnane leugnete plötzlich, jemals etwas Gegenteiliges behauptet zu haben und jagte den verstörten Reporter durchs ganze Dorf, bis der seine Tonbandaufzeichnung der Pressekonferenz wiederfand. Da war es klar und deutlich: „Die Ärzte haben die Beatmungsmaschine abgeschaltet.“ Kleiner Versprecher, so Loughnane. Er habe sagen wollen, die Ärzte hätten die Asthma-Medizin abgesetzt, die Oma sei wohlauf. Und Lynch blieb gesperrt.
Ohne ihn ging das Halbfinale gegen Offaly unentschieden aus. Im Wiederholungsspiel eine Woche später gewann Clare mit drei Punkten Vorsprung, doch der Schiedsrichter hatte die Begegnung zwei Minuten zu früh abgepfiffen. Laut Regeln mußte das Spiel nochmals wiederholt werden, und diesmal gewann Offaly mit drei Punkten und steht im Endspiel. Seitdem ist die Abkürzung „Biffo“ fester Bestandteil von Loughnanes Wortschatz. Sie steht für „Big ignorant fucker from Offaly“, was hier unübersetzt bleiben soll.
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