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Absurde Vorgaben

■ betr.: „Doktor Knitter und die Kasse“, taz 1. 9. 98

Endlich mal ein gescheiter Artikel über den deutschen Ärztealltag in der taz! In der sonst üblichen Berichterstattung wird man ja leider undifferenziert Teil eines Heeres von Mega-Abzockern. Die ärztliche Honorierung ist für manche Praxen wirklich ein existentielles, für alle jedoch ein erhebliches psychologisches Problem. Es wäre für jede Berufsgruppe einfach demotivierend, wenn man im letzten Monat des Quartals fast alle Behandlungen umsonst erbringt, weil das Praxisbudget überschritten ist, die Arbeit Tag für Tag aber gleichermaßen anfällt.

Dagegen wirklich bedrohlich sind die Auswüchse der Kosteneinsparung bei Heil- und Arzneimitteln. Die Ärzteschaft ist von Seehofer zu diesem Zwecke instrumentalisiert worden. Nicht die Krankenkassen kürzen ihren Versicherten die Leistungen. Nein, viel perfider wird mit Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Regreßandrohungen ein enormer Druck auf die Ärzteschaft ausgeübt, nicht das medizinisch Notwendige, sondern das finanziell Vorgegebene zu verordnen. Da viele Ärzte hier kein Rückgrat bewiesen haben, sind bei uns in Nordbaden inzwischen dramatische Zustände eingekehrt: 1998 stehen einem Kinderarzt gerade noch 9,06 DM/Kind als Richtgröße für Heilmittel zur Verfügung. Das reicht noch nicht einmal für die Minimalversorgung der schwerbehinderten Kinder. Wer korrekterweise mehr verordnet, dem droht wiederum der persönliche Regreß. Viele gehen dieses immense Risiko nicht ein und stellen statt dessen die Verordnung bei Erreichen der Richtgröße ein.

Jede Partei, die ein solidarisches Gesundheitssystem verspricht, ist nicht nur daran zu messen, ob sie die hohen Zuzahlungen für Medikamente zurückführt. Bedeutsamer als jede Zuzahlung ist es für die Patienten nämlich, wenn ihnen die benötigte Therapie überhaupt nicht verordnet wird, weil Budgets oder Richtgrößen überschritten sind. Wer also glaubhaft sein will, der muß dementsprechend diese Budgetvorgaben und diesen absurden Mechanismus (84 und 106 SGB V) aufheben. Dr. Gerhard Veits, Kinderarzt,

Wiesloch

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