■ Filmstarts à la carte: Emanzipation im Wald der Riesenpilze
Von der „Voyage dans la lune“ des Filmpioniers Georges Méliès bis zur amerikanischen Superproduktion „Around the World in Eighty Days“ des Produzenten Michael Todd: Die phantastischen Geschichten des Jules Verne inspirierten die Filmemacher der Welt stets zu Abenteuer- und Science-fiction-Filmen der besonderen Art.
Mit Henry Levins „Journey to the Center of the Earth“ zeigt das Arsenal-Kino in der kommenden Woche eine der charmantesten Verfilmungen eines Romans des berühmten französischen Schriftstellers. Die Drehbuchautoren Walter Reisch und Charles Brackett ließen sich zu einer viktorianischen Phantasie inspirieren: mit Pferdekutschen, Zylinderhüten, Korsetts unter bauschigen Kleidern und jenem Typus des leicht verknöcherten Gelehrten, in dessen antiquierter Ideenwelt die Frau allein zum Putzen und Kochen zu gebrauchen ist. James Mason verkörpert die milde Variante des „mad scientists“: Sir Oliver ist ein egozentrischer Forscher, der allein für seine Arbeit lebt und bei den Damen – vornehmlich der fabulösen Arlene Dahl – von einem Fettnäpfchen ins nächste tritt. Schnulzensänger Pat Boone hält sich in seiner Rolle als Assistent des Professors musikalisch erfreulich zurück; Dahl läßt die schönen roten Haare im Wind wehen und wirkt ausgesprochen patent. Eine „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ muß der Traum jedes Filmarchitekten gewesen sein: Galt es doch, bizarre Salzlandschaften, Wälder von Riesenpilzen und die Ruinen des versunkenen Atlantis als Kulisse für die Abenteuer der Reisenden mit Dinosauriern, wahnsinnigen Nachfahren isländischer Forscher und allem, was einem eben sonst noch so unter Tage zu begegnen pflegt, zu gestalten.
Und was machen die wagemutigen Expeditionsteilnehmer angesichts der exotischen unterirdischen Landschaften, mit denen sie sich auf ihrer Reise konfrontiert sehen: Sie trinken erst einmal Tee. Very british, indeed.
Der Schauspielerin Lya de Putti widmet das Filmkunsthaus Babylon eine kleine Reihe: „Das fremde Mädchen“ verkörpert sie in E.A. Duponts Klassiker „Varieté“ – mit Puppenmund, schwarz umrandeten Augen und treuherzigem Hundeblick lockt der Vamp das große Kind Emil Jannings in diesem Artistenmelodram fort von Weib und Kind und hinein ins Verderben.
Neben den Schauspielern beeindruckt vor allem die Kameraarbeit Karl Freunds, der kongenial die wuselige, billige Atmosphäre des Jahrmarktes einfing, so daß die stummen Bilder geradezu das Getöse des Schauplatzes wiederzugeben scheinen. Am selben Abend im Programm: der Dokumentarfilm „Das dritte Leben der Lya de Putti“, in dem Gisa Schleelein dem aufregenden und tragischen Leben der Diva nachgespürt hat. Im Anschluß an die Vorstellung steht die Regisseurin für ein Gespräch zur Verfügung.
Lars Penning
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