: Die ostdeutsche CSU
■ Der rationale Wähler (2): PDS. Es gibt einige gute Gründe, warum eine Stimme für die Linkssozialisten keineswegs verschenkt ist
Es gibt eine Menge emotionale und symbolische Gründe, PDS zu wählen. Ostdeutsche können damit ihrem Frust Ausdruck geben, der sie seit fast zehn Jahren vereinigungsbedingt quält. Eine solche Abrechnung ist zwar rein auf die Vergangenheit bezogen, erleichtert aber kolossal und dokumentiert die ungehörte Wut, die einen zwischen Kap Arkona und Sonneberg beim Durchfahren der blühenden Landschaften, beim Studieren der Mieterhöhungen und Ausführen blödsinniger ABM befallen kann. Auch im Westen setzt eine kleine Unterschriftenschickeria auf Gregor Gysi. Der redet im Bundestag so links, wie man es einmal von den Grünen gewohnt war, und tut es zugleich so elegant, daß sich der westdeutsche Gewohnheitslinke daran laben kann und um die komplizierten Verhältnisse im Osten nicht weiter zu kümmern braucht. Man sieht: PDS wählen kann befriedigend sein, auch wenn oder gerade weil es nichts ändert.
Die PDS kann sich auf diese Weise im Osten die Repräsentation der kollektiven DDR-Lebensgeschichte erschleichen, und im Westen ist sie als kleine radikale Minderheit jener Trotzfaktor, den Altkommunisten und Neosozialisten von Schweden über Frankreich bis Italien in vielen Demokratien darstellen. Gysi und Bisky sind mit ihren Vorstellungen bereits dort angekommen, wo Schröders Jusos Anfang der 70er waren. Damals war die Staatskasse (scheinbar!) voll, jetzt aber herrscht darin gähnende Leere, was für einen klassischen Redistributions-Sozialismus wenig Spielraum bietet.
Das Wahlverhalten jedes fünften Ostdeutschen als „undankbar“ zu qualifizieren, so CDU-Sprecher Hauser, ist ebenso unsinnig wie die Denunziation der PDS als „extremistisch“. Demokratie ist, wenn alle Leute wählen dürfen, was sie wollen. In Demokratien mit Verhältniswahlrecht geht es nicht in erster Linie um die Bildung starker Mehrheiten, sondern um die Repräsentation der pluralistischen Volksmeinung. Deshalb haben hierzulande Regionalparteien wie die PDS oder die CSU eine Chance.
PDS wählen heißt zudem, für eine zumindest rhetorische Ossi- Quote zu sorgen. Die Aufgabe der PDS ist es, die Verlierer des Vereinigungsprozesses zu repräsentieren und sie zugleich in die Bürgerschaft der neuen Republik zu integrieren. Das genau war die Funktion von Klein- und „Protestparteien“, etwa der Heimatvertriebenen in den 50er Jahren. Ähnliches galt für die Inkorporation regionaler Identitäten, die sich in der konservativen „Deutschen Partei“ in Niedersachsen oder in der „Bayernpartei“ sammelten, und nicht zuletzt für sturköpfige Nationalsozialisten, die sich in Teilen in der damals noch stramm nationalliberalen FDP tummelten. All diese Parteisplitter, DP, BP und BHE, wurden in die Mitte gezogen und von den großen Volksparteien aufgesogen, wobei zugleich unbelehrbare Nationalsozialisten in chancenlose Splittergruppen abgedrängt wurden.
Die FDP überlebte diesen Prozeß bekanntlich als Juniorpartnerin des christdemokratisch geführten Bürgerblocks, wobei sie ihre braunen Anteile eliminierte und sozialliberale Spielräume in die linke Mitte eröffnete. Die CSU übernahm drei Funktionen: die regionale Eigenidentität Bayerns zu verkörpern, der nach 1945 heimatlos gewordenen nationalkonservativen Rechten überregionalen Ausdruck zu verleihen und nicht zuletzt das ökonomisch rückständige Bayern in eine prosperierende High-Tech- und Dienstleistungsregion zu verwandeln.
Auch wenn CSU-Politiker dies nicht gerne hören: Ihr Weg in die alte Bundesrepublik zeichnet den Weg vor, den die PDS in der neuen nehmen könnte. Alle Vergleiche hinken, und deswegen seien zunächst die Unterschiede benannt. Die CSU sammelte weniger massiv, als es die PDS noch tut, Befürworter des alten Regimes. Sie fühlt sich aber als genuiner Ort der Heimatvertriebenen und vertritt deren spezifische Interessen in derselben provokanten Ambivalenz gegenüber der Tschechischen Republik, wie die PDS „DDR-Biographien“ gegen vermeintliche Wessi-Kolonisierung zu schützen vorgibt. Auch sonst weist das politische Strickmuster verblüffende Ähnlichkeiten auf: Die PDS will ebenso wie die CSU regionale Identität politisch verkörpern und hält damit den kulturellen Föderalismus wach. Was der CSU die Weißwurschtgrenze, das ist der PDS das Ost-West-Gefälle.
Natürlich kann man die Ostdeutschen nicht alle in einen (PDS-)Topf werfen. Stark ist die PDS im Nordosten der Republik, schwächer im Süden. Doch auch der bayerisch-katholisch dominierten CSU ist es ja gelungen, Bayern insgesamt zu repräsentieren.
Dieses ist mit derselben Mischung aus Traditionspflege (bei der PDS als DDR-Nostalgie denunziert) und Modernismus geschehen, der sich bei den nach vorn orientierten PDS-Anhängern einzustellen beginnt, teils noch in sozialistischer Schale, teils aber auch in ungehemmter Anbetung der Produktivkräfte, die sich erst im Kapitalismus wirklich unentfesselt entwickeln.
Von SED-Apparatschiks in knallharte Firmenchefs konvertierte Führungskräfte belegen diesen Modernisierungsversuch auf heimatlicher Basis ebenso wie die alten und neuen Mittelständler in der PDS, die aus den neuen Ländern tatsächlich blühende Landschaften machen wollen und auf mittlere Frist ebenso an die Spitze der deutschen Länder wollen wie die in den 50er Jahren noch „unterentwickelten“ süddeutschen Agrarländer.
Ob solche Visionen aufgehen, wird sich in zehn, fünfzehn Jahren zeigen. Wählerstimmen, die, vielleicht nur unbewußt, in diese Richtung zielen, sind also durchaus rational. Doch schon jetzt bieten sich auch andere Gründe an, für die PDS zu votieren. Hier ist vor allem die Art und Weise zu nennen, wie sie sich peu à peu, aber nach eigener Regie von der DDR-Vergangenheit distanziert. Ganz gleich, ob solche Manöver „ehrlich“ gemeint sind oder bloße Taktik – die harten Revivalisten der DDR wie die Kommunistische Plattform werden damit herausgedrängt, und das eher diffuse Distanzierungsbedürfnis ehemaliger DDR-Bürger wird so transformiert, indem eine gewisse Ostverschiebung der politischen Kräfteverhältnisse in eine „andere“, nämlich die Berliner Republik erreicht wird.
Die ostdeutschen Wähler haben es ausgeschlagen, die fünf neuen Länder völlig nach westdeutschem Muster zu stricken. So weit wie die CSU ist die PDS noch nicht; aber vor allem die SPD hat ihr Chancen geboten, sich nicht bloß als Protest- und Verhinderungspartei zu etablieren, sondern sich perspektivisch als Regierungspartei zu empfehlen. Insofern ist das Vorhaben der SPD in Mecklenburg-Vorpommern, die PDS in die Verantwortung zu ziehen, völlig logisch – in Sachsen-Anhalt hat sie es als halbe Oppositions- und halbe Regierungspartei viel zu bequem.
So gesehen ist es auch konsequent, die PDS womöglich in ein Bonner Regierungsbündnis einzubeziehen, wenn man keine Große Koalition will. Natürlich kann das kein SPD- oder Grünen-Politiker öffentlich wünschen – der Aufregungsschaden wäre ihnen zu groß. Und man weiß auch tatsächlich nicht, wie ein Minister Bisky oder Gysi sich ins Kabinett einfügen würde.
Es sei freilich daran erinnert, daß westliche Politiker sich mit Ex- Kommunisten wie Horn in Ungarn oder Kwasniewski in Polen bestens verstehen. Auch daß in Frankreich oder Italien Kommunisten direkt oder indirekt mitregieren, hat diese Länder nicht ruiniert. Die Berliner Republik ist erwachsen genug, um exkommunistische Minister auszuhalten.
Die PDS hat 1998 gute Chancen, wieder in den Bundestag einzuziehen. Es sei daran erinnert, daß dergleichen 1994 noch auszuschließen gewesen wäre. Ich hatte vor der Wahl 1994 Gelegenheit, ein privates Gespräch mit zwei sozialdemokratischen Ministerpräsidenten ostdeutscher Länder zu führen, bei dem ventiliert wurde, wie man die Eroberung von Direktmandaten durch die PDS in Berlin durch einen Verzicht des weniger günstig plazierten Kandidaten der SPD oder CDU hätte verhindern können. Dann wäre wohl Schluß gewesen mit der PDS im Bundestag. Diesen Verzicht wollte die SPD ebensowenig wie die CDU. Warum sollten Sympathisanten der konsolidierten PDS ihn heute leisten? Claus Leggewie
t-West-Gefälle.
Natürlich kann man die Ostdeutschen nicht alle in
Wählerstimmen, die, vielleicht nur unbewußt, in diese Richtung zielen, sind
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