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Betrug in wunderbaren Projekten / Das „Treujanische Schiff“ wird wieder MS Treue

Das Ganze begann mit einem Telefonanruf, materialisierte sich als exzeptionelle Kunst-Insel im Hamburger Strom und endete als Anlaufstelle für Surfer im weltumspannenden Internet: Die zweite Karriere des Beton-Kümos MS Treue ist schon vor ihrem Ende eine Legende. Der Schiffseigner Hermann Büsching und der Architekt Dirk Niehus, der den Kahn zum Museum umbauen sollte, machten Multi-Media-Professor Mike Hentz im März dieses Jahres ein Angebot: „Wir haben da ein Schiff und wollen, daß damit etwas passiert“. Der sagte zu, schloß sein Seminar am Lerchenfeld und ging mit den Studenten aufs Wasser.

Schon zwei Monate nach dem ersten Telefongespräch wurde das Schiff aus Kriegszeiten (es wurde 1943 zur Materialersparnis aus Beton gebaut) zum „trojanischen Pferd“ mit dem Mike Hentz sich – im Gegensatz zu manchen seiner Kollegen – einmal anderen als personalpolitischen Wellen aussetzte. Fünf Monate überführte er mit seiner Crew die Hochschule in das Auf und Ab des wirklichen Lebens.

„Ich halte Betrug in wunderbaren Projekten für gerechtfertigt“, betonte Mike Henzz letzte Woche auf einem Empfang für die Unterstützer der geistigen Reise dieses „Treujanischen Schiffs“. Er beschrieb den Alltagskampf im Hintergrund, den anzudeuten Stichworte genügen sollen: Hafenverwaltung, 15 Behördenvertreter, Sicherheitstreppen, Scheißhäuser, Lizenzen, gepufferte Notleuchten.

Dazu die paradoxe Funktion als autoritärer Kapitän, der mit seinem Veto erst ein derartig offenes Programm zwischen Schule und Fischmarkt, komplizierter Theorie und Hip-Hop-Party ermöglichte. Gegen alle Cliquenbildung setzte Mike Hentz einen offenen Kontext durch, pluralistisch und praxisbezogen. Dabei lebte das Projekt von freiwilliger Mitarbeit.

Auf dem motorlosen Boot wurde der Seemann zum Sehmann. „Der Raum ist nicht schön, aber charmant. Hier ist starkes Arbeiten nötig“, gab Mike Hentz allen Interessenten zu bedenken. Das Ergebnis: Im düsteren ehemaligen Maschinenraum mit seinen Brandspuren und im weitläufigeren Lukenraum fanden dreiundvierzig Ausstellungen, Performances und Toninstallationen statt. Das Spektrum reichte von Schröders großen Werkstofftableaus zu den „fünfhundert Hosen“ von Anja Kallenbach, vom Bauchtanz zur „Ungarischen Woche“ mit Künstlern aus Budapest, vom „Betonmuseum“ zur „Sorry-Installation“ des Simulationskünstlers Guillaume Byl. Dazu präsentierten an fünfundzwanzig Abenden regelmäßig Künstler und fast alle wichtigen Professorenkollegen aus dem Lerchenfeld in Vorträgen und Aktionen aktuelle Arbeiten, und – besonderes Zeichen für die Breite der Themen – es gab siebzehn Abende zum Thema E-Musik.

Selbst für die Kandidaten zur neuen Präsidentschaft der Hochschule war das Schiff bei ihrer Vorstellung letzten Donnerstag vielzitiertes, erstrebenswertes Beispiel. Aber es ist klar, in dieser Weise läßt sich das Projekt nicht wiederholen. Zuviel freiwillige Arbeit muß erbracht werden, zuviel nicht unbegrenzt aufbringbarer Enthusiasmus und reichlich Improvisation, die die Behörden kaum ein weiteres Mal dulden könnten.

„Für solche Mischfaktoren gibt es keinen Raum in dieser Stadt. Aber keiner wird zulassen, daß ein Seelenverkäufer auf Dauer zum öffentlichen Raum wird, und – nix für ungut – ich habe erstmal die Schnauze voll“, sagt Mike Hentz und ist dabei doch zufriedener über das Geleistete, als es den Anschein hat.

So sei das nahezu pausenlose Programm des Abschlußwochenendes 2.- 5. November als ultimative Erfahrung allen ans Herz gelegt (und nebenbei, es müssen noch sechstausend Mark Defizit hereingewirtschaftet werden). Und wie geht es weiter? „Die Crew bleibt zusammen, wird weiter zusammenarbeiten. Einmal im Monat werden wir uns ein wenig sentimental am alten früheren und zukünftigen Liegeplatz in Harburg zu einem Jour Fix treffen, und wir sind im Internet“, sinniert Mike Hentz, während drei Diaprojektoren mit Dokumentationen der Bordfotografen Ute Klapschuweit und Claas Adler die Aktivitäten des Sommers noch einmal aufleuchten lassen und aus den Lautsprechern eine verstohlene Träne tropft: Der italienische Opernstar Benjamino Gigli singt „una furtiva lacrima“.

Hajo Schiff/Foto: Markus Scholz

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