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Einst sehnlich erwartet

■ Der standhafte Kirchturm von St. Gertrud in Altenwerder Von H. Haarhoff

Die Kirche im Dorf – jahrhundertelang Symbol für Zentralität und lebhaftes Treiben – ist vielerorts vom Aussterben bedroht. Sinkende Kirchenmitglieds-Zahlen trotz steigender Einwohnerzahl zwingen immer mehr Gemeinden, ihre Pfründen der Wirtschaftlichkeit halber zusammenzulegen. In Altenwerder hat sich dieser Prozeß genau andersherum vollzogen: Auf der Elbinsel ist es die St. Gertrud-Kirche, die das Dorf überlebt hat.

Wenn ihr Turm am morgigen Sonntag 100 Jahre alt wird, soll während des Festgottesdienstes besonders der Geschichte Altenwerders gedacht werden.

Inmitten eines halb verwilderten Friedhofs – beigesetzt werden nur noch EhegattInnen – steht der rote Kirchen-Backsteinbau nicht weit von der Autobahn entfernt und erinnert an Zeiten, als rund 2000 Fischer und Bauern in Altenwerder lebten und sich hier sonntags vor dem Frühschoppen zum Gottesdienst einfanden. Dann kam die Erklärung zum „Hafenerweiterungsgebiet“ und mit ihr die Kräne und Bagger, die die Häuser der „Olwarders“ einstampften: Unter städtischem Druck verkauften die meisten in den 70er Jahren bekanntlich ihre Grundstücke und zogen weg. Nur wenige haben den Einschüchterungsversuchen widerstanden und wehren sich noch heute gegen die beschlossene Hafenerweiterung. Die Kirche aber – inzwischen denkmalgeschützt – blieb stehen; wenn auch nur mit eingeschränkter Nutzung: Gottesdienste finden nur noch zweiwöchentlich statt, die Kirche ist inzwischen der lutherischen Thomaskirchengemeinde Hausbruch-Neuwiedenthal-Altenwerder angegliedert.

Die morgige Feier zum 100jährigen Geburtstag des mehr als 50 Meter hohen Kirchturms beginnt um 9.40 Uhr mit einem plattdeutschen Gottesdienst. Anschließend wird eine Ausstellung mit Bildern und alten Bauzeichnungen eröffnet, die die Geschichte Altenwerders dokumentiert. Für 17 Uhr hat der Bläserkreis der Thomas-Gemeinde ein Turmmusik-Konzert angekündigt.

„Als der Turm vor 100 Jahren endlich eingeweiht wurde“, erzählt der Historiker Gustav Wülfken, „war das ein sehnlichst erwartetes Ereignis“. Vor 1895 hatte die St. Gertrudkirche mehr als ein halbes Jahrhundert turmlos dagestanden und – für die damalige Zeit höchst ungewöhnlich und sehr zum Verdruß der Kirchenväter – eher an einen modernen Flachdach-Bau erinnert.

„Der Gemeinde fehlte das Geld“, erzählt Wülfken. Weil die ursprünglich 1769 erbaute Kirche baufällig geworden war, entschloß man sich 1827 zum Neubau. Die Finanzierung erfolgte über Darlehen und den Verkauf von Kirchenstühlen; erst gegen Ende des Jahrhunderts reichte es dann zum Turmbau. Der blieb – trotz starker Beschädigung im Zweiten Weltkrieg – bis heute erhalten.

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