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„Sie war bei uns richtig aufgeblüht“

■ Das Frauenhaus trauert um Waghef Parivasch / Männergewalt immer hemmungsloser

„Parivasch ist bei uns im Frauenhaus total aufgeblüht; sie hatte sich von einer sehr ruhigen Frau zu einer entwickelt, die ihre Rechte einforderte“, blickt Frauenhaus-Mitarbeiterin Mariana zurück. Parivasch hatte für sich und ihre beiden Kinder – sechs und zwölf Jahre alt – Zukunftspläne geschmiedet, war in den neun Monaten im Frauenhaus immer selbstbewußter geworden. „Sie war eine unglaublich starke und aktive Frau, die nie aufgegeben hat.“

Jetzt ist Parivasch tot; das Frauenhaus trauert um eine Mitbewohnerin und Freundin, die von ihrem Ex-Ehemann bestialisch zugerichtet und schwer verwundet ins Treppenhaus geworfen wurde. Vier Tage später starb die 36jährige.

Von ihrem Mann war Parivasch schon oft krankenhausreif geschlagen worden. Als das Gericht über das Sorgerecht entschied und dem Ex-Ehemann ein eingeschränktes Sorgerecht zusprach, brachte Parivasch die gemeinsamen Kinder deshalb stets in Begleitung des Sozialen Dienstes zum Vater. Doch auch der Mann schien sich über die Monate verändert und die Situation akzeptiert zu haben. Am 5. Oktober ging Parivasch wieder in die ehemals gemeinsame Wohnung, um ihre Kinder zu holen. „Wieso steht da ein Ziegelstein auf dem Tisch“, hatte eines der Kinder noch gefragt.

Vier Kinder und erwachsene Verwandte waren anwesend, man hatte friedlich zusammen gesessen, als Parivasch von ihrem Ex-Ehemann ins Nebenzimmer gezerrt, mit einer Flasche oder einem Messer geschnitten und schweren Gegenständen geschlagen wurde. Dann warf er ihren Körper vor die Tür.

Nachbarn riefen die Polizei, die nach Informationen des Frauenhauses erst beim zweiten Anruf gekommen sein soll. „Das hat unheimlich lange gedauert“, erzählte die zwölfjährige Tochter den Mitarbeiterinnen. Viel länger als das Mal davor, als der Vater Parivaschs Kopf auf die Badewanne schlug und die Polizei gerufen wurde.

Nach Angaben der Polizei hat der Streifenwagen jedoch nur fünf Minuten zum Tatort gebraucht. „18.57 Uhr ging der Anruf ein, 18.58 Uhr ging der Notruf an zwei Funkstreifen und 19.02 Uhr waren sie dort“, schildert die Polizeipressestelle den Verlauf.

Daß viele die hemmungslosen männlichen Gewaltausbrüche „auf die Schuldfrage der Frau abschieben“, so Frauenhaus-Mitarbeiterin Gunda, schockiert zusätzlich. Statt zu fragen, warum die Hemmschwellen der Männergewalt immer mehr sinken, „muß man sich gängige Erklärungsmuster, von wegen religiöser und kultureller Hintergrund, anhören“, sagt Gunda. Was die Frauen bei den Aufnahmegesprächen im Frauenhaus erzählen – egal ob deutscher oder ausländischer Herkunft –, „wird immer grausamer“, so Mariana, „das ,einfache' Schlagen gibt es fast gar nicht mehr“.

Frauen, die ihre Männer umgebracht haben, sitzen fast immer wegen Mordes im Gefängnis. Umgekehrt kommen männliche Täter in der Regel mit Totschlag, und damit einem wesentlich geringeren Strafmaß, davon. „Das ist eine Verharmlosung von Gewalt gegen Frauen“, sind die Frauenhaus-Frauen überzeugt; eine Begünstigung der Männer, die im Justizsystem verankert ist. Vermutlich wird es auch in diesem Fall nur Totschlag sein.

Silke Mertins

Frauen-Trauermarsch: Heute um 11 Uhr ab Gerhart-Hauptmann-Platz

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