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Hakenkralle im Morgengrauen

■ Aktionen gegen Castor-Transport: Demos und lahmgelegte Züge / Die strahlende Fracht rollt erst heute durch Hamburg Von Heike Haarhoff

Drei Anschläge auf Oberleitungen der Eisenbahnstrecke Hamburg-Hannover im Morgengrauen, zwei weitere in Schleswig-Hol-stein sowie einer auf der Strecke Hamburg-Berlin; lahmgelegte Züge, stundenlanges Verkehrschaos, Tausende, die deswegen zu spät zur Arbeit kamen, keine Verletzten, aber Sachschaden von mehreren hunderttausend Mark und 25 einsame Anti-Atom-DemonstrantInnen am S-Bahnhof Barmbek, die der strahlenden Fracht harrten, die dann doch (noch) nicht durch Hamburg rollte: Das ist die Bilanz des Protests gegen den für gestern angekündigten siebten Transport atomarer Brennelemente aus dem Kernkraftwerk Brokdorf zur Wiederaufbereitungsanlage (WAA) ins französische La Hague.

34 Reisezüge – darunter zwölf ICEs – mußten allein auf der Strecke Hamburg-Hannover wegen der Anschläge warten oder umgeleitet werden. In allen Fällen wurden die Oberleitungen durch Hakenkrallen oder Wurfanker blockiert. „Die Züge kamen durch einen elektrischen Kurzschluß abrupt zum Stehen“, so Bahnsprecherin Ursula Scholtke. In der Nähe von Winsen an der Luhe mußten die Gleise mehr als fünf Stunden in beiden Richtungen gesperrt werden; erst gegen zehn Uhr lief der Bahnverkehr wieder normal. Zu weiteren Attacken auf die Oberleitungen kam es bei Hittfeld (Kreis Harburg) und Bardowick (Landkreis Lüneburg): Hier wurde um 6.10 Uhr der herannahende ICE Opfer einer Hakenkralle. „Glücklicherweise ist es zu keinen Personenschäden gekommen“, stellte Bahnpolizei-Sprecher Joachim Haack erleichtert fest. Ein herabfallender Anker könne „gerade bei hohen Geschwindigkeiten verheerende Folgen“ nach sich ziehen. Der ICE war mit 150 Sachen herangebraust.

Bei der Deutschen Presseagentur bekannten sich anonyme Kernkraftgegner gestern telefonisch zu den Anschlägen. Unterdessen spricht sich die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg „gegen eine ständige Radikalisierung“ aus. Wichtiger sei, so BI-Sprecher Wolfgang Ehmke, „zusätzlich Menschen zu gewinnen, um massenhafter gegen Castor-Transporte Widerstand zu leisten“. Das Hamburger Anti-Atom-Büro forderte die Umweltbehörde erneut auf, die Transporte zu untersagen, solange die Gefahr der austretenden Neutronenstrahlung wissenschaftlich umstritten sei (taz berichtete).

Daß die strahlende Reise gestern unerwartet vorerst im benachbarten AKW Brunsbüttel endete, liegt nach Auskunft des AKWs an einem Streik in der französischen WAA. Frühestens heute mittag werde mit der Weiterfahrt gerechnet. Unterdessen hat das Bundesamt für Strahlenschutz in einem Schriftsatz an das OVG Lüneburg untersagt, in diesem Jahr weitere Castor-Behälter in das Atommüllzwischenlager Gorleben einzulagern.

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