: V-Mann bietet Freiheit gegen Heroin
■ Prozeß gegen Kurden eröffnet, der von Polizei zum Drogen-Deal gedrängt wurde
Was gestern vor dem Strafgericht verhandelt wurde, erinnert an einen Patricia-Highsmith-Krimi: Rigal J. bietet seinem Knastkumpel, dem Kurden Mehmet D., Ausbruchshilfe an. Seine Leute draußen, verspricht Rigal, würden es schon richten – für schlappe 30.000 Mark.
In mehr als 30 Gesprächen, die sich über Monate hinziehen, drängt er den Kurden, sich auf den Deal einzulassen. Mehmet D. rückt schließlich die Telefonnummer seines Bruders heraus. Es kommt zu einem Treffen im Burger King, doch die potentiellen Ausbruchshelfer wollen kein Geld, sondern zwei bis drei Kilo Kokain oder Heroin. Mehmets Bruder will mit Drogen nichts zu tun haben und macht einen Rückzieher. Doch fortan wird er, manchmal mehrmals täglich, von Rigals „Leuten“ telefonisch unter Druck gesetzt. Er wolle seinem Bruder doch helfen, oder? Parallel versucht Rigal im Knast, Mehmet den Rückzieher auszureden. Seine „Leute“ hätten schließlich schon Auslagen gehabt, zahlen müsse er so oder so.
Nach vier Monaten Bearbeitung hatten die hartnäckigen Helfer den Ausbruchswilligen soweit. Der Bruder besorgte sich am Hauptbahnhof einen kleinen Teil der geforderten Heroinmenge. Doch am vereinbarten Übergabeort klickten dann die Handschellen. Die vermeintlichen Fluchthelfer waren Undercoveragenten, der Knastkumpel ein V-Mann der Polizei.
Nun stehen Mehmet samt Bruder und Cousin wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz vor Gericht. Gestern ging es zunächst nur um die Version der Angeklagten. Doch selbst wenn nur die Hälfte davon stimmt, hat die Polizei nach besten Kräften einen Heroin-Deal angeschoben, den es unter normalen Umständen nie gegeben hätte. Mehmet D.s Bruder betreibt ein Lokal und hatte mit Drogen bis dahin nichts zu tun. Mehmet selbst hatte den größten Teil seiner Strafe bereits abgesessen und trug sich aus einer psychischen Krise heraus – wie viele Knackis – mit Ausbruchsgedanken. Für ihn steht mindestens die vorzeitige Haftentlassung auf dem Spiel. Seinen beiden Verwandten droht Gefängnis.
Das Gericht muß nun die Version der Angeklagten auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Geklärt werden muß außerdem die Frage, ob das Rauschgiftdezernat ihre Erfolgsbilanz mit selbstorganisierten Drogendeals aufpoliert. Am Freitag darf deshalb mit Spannung die Aussage eines beteiligten Kripobeamten erwartet werden.
Noch brisanter wird allerdings die Zeugenaussage des Knast-Spitzels Rigal J. selber, die für den 9. November anberaumt ist. V-Männer dürfen laut Anweisung der Justizbehörde nämlich nicht angeworben oder für ihre Dienste materiell oder mit Vergünstigungen entlohnt werden. Sollte sich herausstellen, daß diese Anweisung mißachtet wurde und der Sicherheitsbeauftragte Hans Seemann darin verwickelt ist, könnte sich die Spitzelaffäre zu einem Skandal auswachsen. Silke Mertins
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