: Sonnig am Lido, bewölkt in den Kinos
■ Ein Direktor als Chef-Kritiker: Der taz bremen-Korrespondent berichtet von den Filmfestspielen in Venedig
Die Kollegin Brigitte Werneburg vom taz-Mutterschiff hatte die typischen Antrittsschwierigkeiten beim Filmfest in Venedig. Zu allem Überfluß drohte noch ein „Herr Hippen“, sich ihr Pressefach unter den Nagel zu reißen, der seltsamerweise „ebenfalls für die taz akkreditiert“ war. An diesen Irritationen ließ sie in ihrer täglichen Glosse auch die LeserInnen teilhaben, während der für die taz bremen berichtende Filmkritiker, also ich, in aller Unschuld und ohne Schwierigkeiten den Schlüssel für sein (ordnungsgemäß angemeldetes) Pressefach bekam, und von der drohenden Gefahr, als „running gag“ in den Berichten der Bundestaz zu enden, zum Glück nichts ahnte. Bremen war übrigens in diesem Jahr zahlreich in Vendig vertreten: mit der für den Weser-Kurier berichtenden und hoch verehrten Ex-taz-Kollegin Sybille Simon-Zülch, dem in Bremen wohnenden Kulturedakteur der Kreiszeitung, Jens Fischer, dem frischgebackenen hanseatischen Kinomogul Manfred Brocki und meiner Wenigkeit.
So wichtig wie diesmal war das schöne Wetter am Lido in den letzten Jahren nicht, denn in den Kinos war es viel zu oft bewölkt bis duster. Aber wie kann man als Kritiker noch über das schwache Programm schimpfen, wenn der Festivalleiter Felice Laudatio noch vor der Preisvergabe seinen Rücktritt bekannt gibt und den Wettbewerb als „dumm und arrogant, mit zu vielen Filmen und zu vielen Preisen“ beschreibt. So böse hätte ich es nun doch nicht gesagt, aber es gab einige Tage, an denen die Filme drohten, einem die Festivallaune zu vermiesen. Leider muß man auch sagen, daß es dann meist ein Film aus Hollywood oder angrenzenden Ortschaften war, der den Tag noch gerade so rettete. „Saving Private Ryan“, „The Truman Show“, „Out of Sight“ oder der neue Woody-Allen-Film „Celebrity“ zählten zu den dünngesäten Höhepunkten des Festivals – und das nicht nur, weil die Stars alle anreisten und man den schönen Augenaufschlag von George Clooney oder die ganz schlimm aufgespritze Oberlippe (Silicon?) von Melanie Griffith in natura bewundern konnte.
Über die Preisverteilung braucht man sich nach der treffenden Analyse des Herrn Präsidenten nicht weiter zu wundern. Immerhin hat Emir Kusturica mit seinem wunderschönen Zigeuner-Komödien-stadel „Black Cat, White Cat“ noch als Trostpreis den silbernen Löwen für die beste Regie ergattert, und „Lola rennt“ hatte eh keine Chance. Darüber sollte der Regisseur Tom Tykwer sogar insgeheim ganz froh sein, denn er hat hier nicht nur einen deutschen Film gezeigt, für den man sich ausnahmsweise mal nicht bei den Kollegen aus den anderen Ländern mit hochrotem Kopf entschuldigen muß.
Statt dessen hörte man immer wieder von diesen, daß der Film sehr gut, aber einfach zu jung und zu schnell für die doch sehr etablierte Jury sei. Etwas besseres hätte „Lola rennt“ hier gar nicht passieren können, die internationalen Verkäufe sollen entsprechend gut gelaufen sein, und so kann man wohl in ein paar Jahren die Hollywood-Version sehen: „Lola-runs-light“.
Nur bei einem Film ist es wirlich schade, daß er beim Wettbewerb leer ausging: Eric Rohmers „Conte d'automne“ ist ein eleganter, weiser Abschuß des Jahreszeitenzyklus des Regisseurs. Eine Herbst-Komödie über die Irrungen und Wirrungen von Frauen, die um die vierzig sind, also den Herbst ihres Liebeslebens erleben, und sich dabei genauso töricht und sympathisch anstellen wie die schöne 18jährige, die hier von der Kamera zugleich so geliebt und in ihrer schnippischen Eitelkeit vorgeführt wird, wie es nur Rohmer inszenieren kann.
Ein In-Joke für Festivalgänger ist übrigens, daß Rohmer die Filme des Zyklus jeweils zur passenden Jahreszeit beim passenden Festival plaziert hat: Die Wintergeschichte im frostigen Berlin, den Frühling in Cannes, den Sommer in Locarno und jetzt Venedig, wo man allerdings erst am verregneten vorletzten Tag etwas von der Nach-Saison merkte. Wilfried Hippen
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