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Blaue Noten

Jazz-Filme im Abaton: Rhythmus und Voyeurismus  ■ Von Christian Buß

Dale Turner geht, wie er Saxophon spielt. Er wippt, er schlenkert, er nimmt nie den kürzesten Weg. Weder in seinem Leben noch in seiner Musik. Dale Turner ist eigentlich der Bebopper Dexter Gordon, der in Bertrand Taverniers Round Midnight sich selbst und so ziemlich alle anderen legendären Gestalten des Jazz verkörpert. Denn die Lebenswege ähneln sich frappierend. Dreckige Hotelzimmer, niedrige Clubs, viel Drogen – die Koordinaten scheinen immer die gleichen. Das macht das Thema Jazz im Film zu einer schwierigen Angelegenheit. Verehrung und Voyeurismus liegen dicht beisammen, und bei so manchem Regisseur muß der abstrakte Blues, den die Idole spielen, als süffiges Melodram herhalten.

Auch Round Midnight von 1986 beginnt und endet in einem verwarzten Hotelzimmer. Dazwischen läuft der eigentlich schon abgeschriebene Turner noch einmal zu großer Form auf. Während er Autumn In New York bläst, erlebt er in Paris einen letzten Frühling. In einer Kaschemme namens Blue Note holt er noch einmal alles aus sich raus, und es kommt dem Film, der an die Schicksale von Lester Young und Bud Powell im Europa der 50er angelehnt ist, zugute, daß dieses Paris oft die Künstlichkeit des Studios atmet. Tavernier versucht nicht, auf Teufel komm raus Authentizität zu schaffen, trotzdem gibt es musikalisch ein paar Momente großer Wahrhaftigkeit. Denn die Konzertaufnahmen wurden zum Teil live vor der Kamera eingespielt, und auf der kleinen Bühne standen Gordon Leute wie Herbie Hancock, Ron Carter und Wayne Shorter zur Seite.

Bestechend, mit welcher Selbstverständlichkeit Tavernier in Round Midnight zur Sache geht. Ein Manko allerdings hat seine beizeiten sonnengeflutete Elegie – den von Francois Cluzet gespielten weißen Fan. Der schwänzelt anfangs wie ein Schuljunge um den alkoholsüchtigen schwarzen Helden herum, legt ihn dann trocken, verhilft ihm schließlich zu letztem Ruhm. Das ist das immer wiederkehrende Drama des Jazz: Gemacht wurde seine Geschichte von Schwarzen, geschrieben wurde sie von Weißen.

Zum Glück gibt es Spike Lee. Der schwarze Geschichtenerzähler legte 1990 mit Mo' Better Blues vielleicht den besten Spielfilm zum Thema Jazz vor, auf jeden Fall den rigorosesten. Denzel Washington mimt einen Trompeter, der sich über körperliche Zuwendung nicht beklagen kann, aber eigentlich doch nur ein Autoerotiker bleibt. Zwar hat er gleich zwei Geliebte, doch sein Mund ist nicht zum Küssen da, sondern zum Spielen, und keine Frau streichelt er so zärtlich wie sein Horn.

Natürlich ist es mehr als eine Randnotiz, daß der Club, in dem der Trompeter arbeitet, Beneath The Underdog heißt. Wie die Autobiographie des genialen Charlie Mingus, in der Sex und Drogen in ungeheuerlichen Ausmaßen gefeiert werden. Auch Mo' Better Blues ist eine um Schauwerte keineswegs verlegene pathologische Künstlerstudie. Die Dekadenz kommt hier nicht geschmackvoll ausgeleuchtet daher, auf genreübliche Schicklichkeiten wird verzichtet. Die Kamera kreist, die Bilder sind grell, die Dynamik ist enorm. Jazz im Film, Film als Jazz.

Das gilt auch für das Labelportät Blue Note von 1997. Regisseur Julian Benedikt agiert hier weniger als Forscher, der akribisch Fakten zusammenträgt, sondern montiert Fotos, Liveaufnahmen und Interviews zu einem audiovisuellen Flow, der vor allem eins wiedergeben soll: den Groove. Und zwar den von Francis Wolff und Al Lion, zwei aus Deutschland emigrierten Juden, die 1939 in New York mit Blue Note das wichtigste Jazz-Label gegründet haben. Der Rhythmus ist toll, manchmal aber ist Benedikts Aussage fragwürdig. Die lautet: Die aus dem Motherland vertriebenen und die vor dem Holocaust geflohenen – alle haben den Blues. Spätestens wenn Aufnahmen aus dem Busch gegen die von Transporten ins KZ geschnitten werden, wird die Gleichsetzung zu plakativ. Auch umgeht Benedikt die Frage, weshalb es über Jahrzehnte kein von Schwarzen geführtes Label gab – obwohl mit Leuten wie Max Roach durchaus Musiker interviewt werden, die zu diesem Thema einiges zu sagen haben.

Round Midnight, Mo' Better Blues, Blue Note – drei unterschiedliche Jazz-Filme, von denen das Abaton in den nächsten drei Monaten noch ein Dutzend weitere zeigt. Unbedingt nahegelegt seien Bruce Webers schön fotografiertes, vollkommen illusionsloses Chet-Baker-Porträt Let's Get Lost, Charlotte Zwerins intelligente Künstler-Bespiegelung Thelonious Monk: Straight, No Chaiser sowie Marc Huraux' Jazz an einem Sommerabend, ein Konzertfilm über das Newport-Festival von 1958. Schon weil es hier nur um eines geht: das Musizieren. Nicht mehr – und vor allem nicht weniger.

Blue Note: Fr, 18., 18 Uhr; Sa, 19., 13.30 Uhr; So, 20., 11 Uhr; Mo, 21. + Di, 22. September, 15.15 Uhr. Let's Get Lost: Sa, 26., 13.15 Uhr; So, 27., 11 Uhr; Mo, 28. + Di, 29. September, 17.30 Uhr. Bis Dezember laufen noch folgende Jazz-Filme im Abaton: Der General , Jazz an einem Sommerabend , Bird Now , Hellzappopin , Stranger Than Paradise , Round Midnight , Straight, No Chaiser , Die fabelhaften Bakerboys , Orfeu Negro , Mo' Better Blues , Wild Man Blues

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