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Angewidert von der Präsidentenpuppe

Weder Bill oder Hillary Clinton noch Kenneth Starr oder Monica Lewinsky eignen sich so recht als Werbeträger – und so hat die Affäre um das Weiße Haus in den Einkaufszentren der USA noch kaum Einzug gehalten  ■ Aus New York Max Böhnel

Die 5th Avenue in Manhattan ist die größte Einkaufsstraße der Welt – alljährlich das Touristenmekka für Millionen von Besuchern aus dem In- und Ausland, die sich in New York auf Einkaufstrip begeben. Die Werbeindustrie an der 5th Avenue hat den Sexskandal des US-Präsidenten bislang nicht ausgeschlachtet. Und das wohl weniger aus der wohlbegründeten Sorge um mögliche Gegenanzeigen aus dem Weißen Haus, sondern vielmehr, weil Bill und Hillary Clinton, Monica Lewinsky, Kenneth Starr oder eine andere Figur aus Washington als Werbeträger – im positiven oder negativen Sinn – zur Zeit nicht konsumverträglich sind.

„Business as usual“ also am Times Square, den pro Minute Tausende von Passanten überqueren. Im Schatten der Hochhäuser ist hier Tag und Nacht Betrieb, die berühmten „yellow cabs“ bleiben noch kurz vor Sonnenaufgang im Stau stecken. Laptops für 200 Dollar in den Seitenstraßen, ein Hotdog mit Sauerkraut für einen „buck“, eine Krawatte für zwei, Lewis-Jeans für 25 Steine.

Die Läden entlang der 5th Avenue selbst sind fancy und teuer, aber das „West-Village“ ist bekannt für billigen Touristen- Krimskrams. Ein „novelty shop“ in der Bleeker Street: ein weißes Paradepärchen aus dem Mittleren Westen, aus Lincoln/Nebraska, wie die identische Aufschrift auf den Baseballmützen verrät, beide in den 50ern. Midwesterners gelten als extrem konservativ, bibelfest und kommen zu Besuch nach New York, um sich zu bestätigen, daß hier Sodom und Gomorra herrscht. So jedenfalls das Durchschnittsvorurteil, das Durchschnitts-New-Yorker pflegen. Meist zu Recht.

Beide tragen die touristenüblichen Shorts, in die das verschwitzte T-Shirt gestopft ist, und Turnschuhe. Bis sie plötzlich aufschreit: „That's disgusting! Look at that!“ Sie hat unter einem Haufen Plastikgeschirr eine jener Clinton- Stoffpuppen entdeckt, von denen seit Wochen immer wieder die Rede ist, die jedoch selten zum Verkauf angepriesen werden. „Fondle Me Bubba“-Puppen heißen sie – einen halben Meter hoch und mit heruntergelassener Hose, unter der Boxershorts sichtbar werden. „Oralsex ist nicht Ehebruch“, sagt das Clinton-Imitat, wenn man es zwischen den Beinen berührt, wahlweise auch „Baby, meine Knie zittern“ oder „I'll bomb Bagdad, I'll bomb France, if you'll remove my underpants.“ Der Sprachchip bietet acht verschiedene Antworten.

Angewidert legt Betty Craig, wie sie sich später vorstellt, die Puppe zurück, während ihr Ehemann Jack lossprudelt. Er sei „das Weiße Haus satt“, sagt er lautstark, diese „68er-Affen aus Berkeley und Woodstock“ seien „eine verkommene Generation aus den Küstenstädten“. Betty nickt, und fünf, sechs andere Kunden hören amüsiert mit.

Nachdem Jack seiner Betty versichert hat, daß „wir nur kurz in dieser Stadt sind, um einen Verwandten zu besuchen“, verlassen beide den Laden. Sofort ist eine Diskussion im Gange. „I give a shit“, sagt eine Kundin aus Brooklyn, „aber diese Bibelfanatiker sind gefährlich.“ Ein älterer Herr in Anzug gibt ihr recht: „Starr und die aus dem Mittleren Westen wollen die Macht ganz für sich.“

Nur Touristen kaufen Clinton-Veräppelungen

Ein Latino-Jugendlicher knapp unter 18 nestelt an der Clinton- Puppe herum und murmelt „motherfucker“, während der Sprachchip zusammenhanglos ausspuckt: „I feel your pain.“ Der Verkäufer bekräftigt, ausschließlich Touristen würden sich für Clinton-Veräppelungen interessieren, und er legt zum Beweis eine „Clinocchio“ auf den Tresen. Die Armbanduhr aus Quarz kostet 29,95 Dollar. Das Zifferblatt von „Clinocchio“ zeigt das Gesicht des Präsidenten, und alle zehn Sekunden vergrößert sich seine Nase um das Dreifache. Aber das Produkt aus Seattle, das Bill Clinton als Lügen-Pinocchio darstellt, verkauft sich schlecht. „Die Rechten wollen sich mit einer Clinton-Parodie nicht schmücken“, sagt der Mann etwas mürrisch, „und den Linken ist es egal.“

Schneller, höher, weiter geht ohnehin nichts mehr. Heute wird Präsident Clintons Aussage vor der Grand Jury im Fernsehen gezeigt, seit einer Woche ist der Bericht des Sonderermittlers Kenneth Starr im Internet nachzulesen. Drei Verlage haben den 445-seitigen „Starr“-Report“ in Taschenbuchform nachgedruckt und an die Buchläden ausgeliefert. Nach acht Monaten überbieten sich die US-Mainstream-Medien mit Enthüllungsstories über den US-Präsidenten, der seine Affäre mit der Praktikantin Monica Lewinsky vertuschen wollte. Gemessen an dem Raum, den die Medien „Monicagate“ einräumen, gibt es in den USA keine Wirtschafts- und Innenpolitik mehr, auch Außenpolitik scheint nicht mehr stattzufinden. In TV-Talkshows steigern sich Experten rund um die Uhr in die wüstesten Spekulationen, welches Schicksal dem Präsidenten bevorsteht. Über 100 US-Zeitungen haben Clinton aufgefordert, der drohenden Amtsenthebung durch den freiwilligen Rücktritt zuvorzukommen.

Erfahrene journalistische Haudegen, wie der Washingtoner Time-Korrespondent, schäumen öffentlich „von der schlimmsten Lüge eines US-Präsidenten“, die New York Times sorgt sich darum, daß die „Unwahrheiten aus dem Weißen Haus moralisch verheerende Konsequenzen auf unsere Jugend haben werden“, und Rechtsausleger wie Oliver North oder Pat Buchanan, die in den Sümpfen vergangener Skandale untergegangen schienen, sind als „Clinton-Experten“ im Fernsehen plötzlich wiederaufgetaucht.

Angesichts des medialen Overkills gehen selbst einem millionenstarken Skandalblatt wie dem National Enquirer, der in jedem Supermarkt zu erstehen ist, die Skandale aus: Daß Monica an ihrer Liebe zu Bill zerbrochen sei und deshalb kurz vor dem Selbstmord stehe, diese Story bewegt nur noch die-hards. Heute werden die nationalen Fernsehsender Clintons Videoaussage vor der Grand Jury ausstrahlen. Daß er darin nichts von Nachrichtenwert aussagt, ist bereits bekannt. Laut New York Times ist er „verärgert und legalistisch“ zu sehen, und „er streitet sich mit Rechtsanwälten darum, wie sexuelle Beziehungen zu definieren seien“.

Die Mehrzahl der Amerikaner – „they just don't buy it“. Zwei Tage nach der Veröffentlichung des Starr-Reports berichtete US Today, in Umfragen stoße Clinton weiterhin auf „approval rates“, also Zustimmung, von über 50 Prozent. Gallup-Umfragen zufolge ist die Zustimmung zu Clinton mit 64 Prozent derzeit höher als die mageren 52 Prozent, an denen sich Ronald Reagan in seiner achtjährigen Amtszeit entlanghangelte.

Die Medien sind „ganz unten angekommen“

Schon bei der Berichterstattung über den Fall O.J. Simpson befanden viele US-Amerikaner, die Medien seien auf dem niedrigsten Niveau angelangt, auf dem sie sich je befanden. „Doch die Kluft zwischen Mehrheitsmeinung und veröffentlichter Meinung hat sich noch einmal vergrößert“, sagt Jeff Cohen von Fair, einer unabhängigen New Yorker Organisation, die Medienkritik betreibt, „es handelt sich derzeit um die völlige Aufgabe journalistischer Grundsätze“. Und er meint: „Wir befinden uns nicht auf Talfahrt, wir sind ganz unten angekommen. Die Welt der Medien operiert fernab der Realität.“

Tatsächlich ist es erstaunlich, daß „Stimmen von der Straße“ in Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehen nur am Rande und in Form von Umfrageergebnissen existieren. Die Mehrzahl der US-Amerikaner ist die ganze Affäre schlicht leid, und die Verdrossenheit spiegelt sich in der Kulturindustrie wider. Zwar brachen die Millionen, die den Starr-Report lasen, alle Internet-Rekorde, vor den Internet- Cafés waren Warteschlangen entstanden, und der „Starr-Report“ in Buchform verkaufte sich während der ersten Tage extrem gut.

Doch die Entscheidung zwischen öffentlichem Voyeurismus und einem unangetasteten Privatleben ist den US-Amerikanern leichtgefallen. „Laß die in Washington sich doch zerfleischen“, faßt Jeff Cohen von Fair die Mehrheitsstimmung zusammen, „denn Clinton wird nach der wirtschaftlichen Situation beurteilt.“

Und er attackiert noch einmal die Medien. Die Informationen seien von den Sonderermittlern „bewußt in die Welt gesetzt“ worden und je nach politischen Erfordernissen an die Medien „durchgesickert“, führt er aus. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hänge die US-Presse über „halblegale“ Treffen am Informationstropf der Rechten und habe sich diesen dienstbar gemacht. „Die US-Medien haben monatelang über Sex hyperventiliert“, sagt er, „jetzt ist ihnen die Luft ausgegangen.“

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