: Über große Jungs und kleine Spinner
■ Der britische Autor und Popstar Nick Hornby empfing seine coole Gemeinde im Kesselhaus und las aus seinem Roman "About a Boy"
Das Ganze wirkt sehr sakral. Im kultig-kargen Raum des Kesselhauses sind nichts weiter als eine schwarz verhüllte Bühne und Stühle aufgebaut worden. Für Lesungen ein ungewöhnlich hippes, junges und gutaussehendes Publikum hat sich hier versammelt, die Veranstaltung ist ausverkauft. Es ist supercool, hier zu sein. Heftiger Applaus, als Popstar Nick Hornby die Bühne betritt. Von nun an konzentriert sich alles auf ihn. Allein sein Durchschnittskopf, seine glänzende, rötliche Glatze, so stellt man zweiflerisch fest, wird den Abend optisch ausfüllen müssen.
Mit beinahe verhaltener Mimik und minimalistischer Betonung beginnt er zu lesen. Sein neuer Roman „About a Boy“ handele, so Hornby, von zwei Jungs, einem zwölfjährigen und einem sechsunddreißigjährigen. Will hat Geld, nichts zu tun, ist Single und daher auf der Suche nach einer Frau. Besonders von alleinerziehenden Müttern verspricht er sich viel.
Wer interessiert sich denn bloß für Kinder?
Ein harter Job, denn für nichts interessiert er sich weniger als für Kinder. „I'm a single father, I have a two year old boy. I'm a single father, I have a two year old boy“, trainiert er für den ersten Besuch einer Gruppe für alleinerziehende Eltern – was ihn nicht darauf vorbereitet, wie man sich mit einer Frau über die Sorgen mit dem Babysitter unterhält. Nick Hornby liest: „He should have rolled his eyes and said: ,Hm, tell me about it‘ or: ,Don't talk to me about babysitters.‘ Maybe it wasn't too late. He rolled his eyes. ,Don't talk to me about babysitters‘, he said.“
Das Publikum freut sich ausdrücklich. Wobei es natürlich schon beinahe zu cool ist, sich über Nick Hornby zu freuen. Also ist es schon wieder cooler, sich an den Stellen zu freuen, wo sich keiner freut oder, was am allercoolsten ist, sich gar nicht zu freuen. Daher drehen sich nur die Uncoolen Bestätigung erheischend nach ihren Nachbarn um und lachen immer dann besonders laut, wenn der auch lacht. Einigkeit herrscht nur darüber, sich selbst an den lustigsten Stellen nicht zu freuen, wenn die Übersetzerin liest. Nick Hornby zu übersetzen und nicht zu Wort kommen zu lassen ist definitiv uncool.
Aber auch die Abgebrühten müssen an vielen Stellen lachen, wo sie es aus Imagegründen vielleicht nicht vorhatten. Nick Hornby ist einfach zu trocken. Er liest nicht wie ein Autor, sondern wie ein Schauspieler. Die kleinen Einwürfe, nach denen seine Fans lechzen, zeigen feines englisches Understatement. Einmal erzählt er von der langweiligsten Quizshow Englands. „Man kann sie praktisch nicht gucken, und trotzdem gucke ich sie jeden Nachmittag. Ich bin wie Will, ich habe wirklich nicht viel zu tun den ganzen Tag.“
Als der andere Junge, der zwölfjährige Marcus, eingeführt wird, verstellt Hornby seine Stimme. Nur einen Tick geht er nach oben, und schon entsteht das Bild eines unglücklichen präpubertären Spinners mit ersten Pickeln und sich überschlagender Stimme. Hornbys lustiges Kleiner-großer- Junge-Gesicht sagt: Ich habe zwar viel von Will, aber auch mit Marcus habe ich mehr zu tun, als ihr zu glauben wagtet.
Egal, ob zwölf oder sechsunddreißig: Nick Hornby geht es um Jungens, die nicht erwachsen werden. „About a Boy“ ist ein Bildungsroman, der auf dem Kopf steht, in dem es nicht ums Erwachsen-, sondern ums Kindwerden und -bleiben geht. Ganz moralfrei. Hier zählt: Romantik ist, wenn zwei Verliebte die Skateboard- und die Baseball-Caps in der Weihnachtsausgabe der Simpsons vergleichen. Egal, wie alt sie sind. Will lernt Marcus als Sohn einer Alleinerziehenden kennen und interessiert sich schon bald mehr für eine Freundschaft zu dem Jungen als für eine Beziehung mit dessen Mutter.
Wer zum Teufel war noch mal Kurt Cobain?
An einem Nachmittag in der Schule läßt sich Marcus von einem Mädchen, das viel älter ist als er, erzählen, daß der Mann auf ihrem T-Shirt Kirk O'Bain heiße und bei Manchester United spiele. Marcus glaubt ihr, dankbar, daß überhaupt jemand mit ihm spricht.
Als Will ihn wenig später zufällig aufpickt, lehrt ihn diese Geschichte, daß es nicht darum geht, Marcus ein Vater zu sein. Statt dessen beschließt er: „He needed help to be a kid, that was exactly the kind of assistance that he was qualified to provide.“ Will bringt Marcus bei, wer Kurt Cobain ist. Der verkündet am nächsten Tag in der Schule: „It's got a good beat and the picture of the cover is very interesting, I think the cover has a meaning, something about society.“
Ob auch Nick Hornby 1971, ein ganzes Jahr zu spät, dem steilsten Zahn an seiner Schule verkündet hat, daß Jimi Hendrix gestorben ist?
Susanne Messmer
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