■ H.G. Hollein: Verdächtig
Die Frau, mit der ich lebe, ist mir lieb und teuer. Das hat sie mir bisher auch immer geglaubt. Aber sie hat auch ein Holland-Rad, an dem vor geraumer Zeit das Rücklicht ausfiel. In meinen Volksschuljahren galt es als unumstößlicher Liebesbeweis, der Angebeteten das Rad zu flicken, und so wollte ich es auch jetzt wieder halten. Nur haben sich die Vehikel in den vergangenen dreißig Jahren ein wenig verändert, und nach vollendeter Reparatur hatte die Gefährtin auch kein Vorderlicht mehr. Ich riet daraufhin – ganz unmännlich-unstolz – zum Aufsuchen eines Fachmanns, was die Gefährtin allerdings mit der etwas kryptischen Frage „Wie denn?“ quittierte und es damit bis auf weiteres bewenden ließ. Mit der herannahenden Herbstdämmerung verspürte sie aber doch einen gewissen Handlungsbedarf und bat im Kollegenkreis um helfende Kennerhände. Allein, der Kriegsrat autonom und ökologisch motivierter Pedalisten fand auch nach intensivem Bartgekraule keinen Fehl an Birne oder Kabel. Es blieb der Notruf an den ambulanten Fahrrad-Doktor, der denn auch nach zwei Minuten herausfand, was Kollege S. sich angeblich „irgendwie schon gedacht“, aber aus nur ihm selbst erfindlichen Gründen wohl nicht so direkt zu äußern vermocht hatte. Kurzum: ich hatte wohl Plus und Minus vertauscht und etwas namens Masse an den Rahmen gelegt. Was bei einer erhöhten Drehzahl des Dynamos anscheinend zu einer Explosion mit anschließender Elektrifizierung der Gefährtin hätte führen können. Es hat die Gefährtin nicht beruhigt, daß ich darauf hinwies, sie selbst habe doch gelegentlich ein gewisses Knistern in unserer Beziehung vermißt. Statt dessen läuft sie jetzt von Freundin zu Freundin, äußert düstere Todesahnungen und zeiht mich finsterer Mordkomplotte. Einerseits finde ich das ungerecht, andererseits zeugt das Verhalten der Gefährtin seitdem von einem bisher ungewohnten Respekt.
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