: Betr.: Bundestagswahl 1998
Damit hatte Wolfgang Thierse nicht gerechnet. Mit einem Rückstand von nur 278 Stimmen verlor der SPD-Vize den symbolträchtigen Berliner Wahlkreis Mitte/Prenzlauer Berg erneut an die PDS. Deren Berliner Landesvorsitzende Petra Pau siegte mit 36,7 Prozent der Stimmen. Erst spät in der Nacht stand fest, daß Thierse wenigstens über die Landesliste wieder in den Bundestag einzieht. Dabei galt es zuvor als ausgemacht, daß Thierse diesmal das Direktmandat zurückerobern würde, das er 1994 an den Schriftsteller Stefan Heym abgeben mußte. Schließlich galt Pau als Notlösung, nachdem der PDS-Wunschkandidat, der Flottillenadmiral Elmar Schmähling, wegen eines Strafverfahrens das Handtuch werfen mußte. taz
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Die PDS hat im Osten Berlins vier Direktmandate geholt, die übrigen der insgesamt 13 Wahlkreise der Hauptstadt gingen ausnahmslos an die SPD. Die CDU mußte bei der Bundestagswahl am Sonntag auch traditionell als sicher geltende Wahlbezirke wie Zehlendorf/Steglitz abgeben. Im CDU-treuen Bezirk Tempelhof verlor Rupert Scholz mit knapp 400 Stimmen gegen die SPD. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) deutete an, daß das Ergebnis Rückwirkungen auf die von ihm geführte Große Koalition in Berlin haben könnte, die bis zur Abgeordnetenhauswahl 1999 amtieren soll.
Der PDS-Gruppenchef im Bundestag, Gregor Gysi, holte in Hellersdorf/Marzahn mit 46,7 Prozent das beste Erststimmenergebnis für seine Partei. Die letzte DDR-Wirtschaftsministerin Christa Luft errang den Wahlkreis Friedrichshain/Lichtenberg. Manfred Müller sicherte das Direktmandat für die SED- Nachfolgepartei in Hohenschönhausen/Pankow/Weißensee. Im Wahlkreis Kreuzberg/Schöneberg scheiterte der Hoffungsträger der Grünen, Christian Ströbele, mit dem Versuch, für seine Partei erstmals ein Direktmandat zu erobern. Der Bezirk ging an die SPD. AP
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Neuer Alterspräsident im Bundestag wird der 70jährige PDS- Abgeordnete Fred Gebhardt. Ihm steht damit die Ehre zu, den neuen Bundestag mit einer Rede zu eröffnen und die erste Sitzung bis zur Wahl des neuen Präsidiums zu leiten. 1994 hatte der Schriftsteller Stefan Heym als PDS-Abgeordneter die erste Parlamentssitzung eröffnet. Er war 1994 als Parteiloser für die PDS in den Bundestag eingezogen, hatte sein Mandat aber später zurückgegeben. Gebhardt, ein früherer Sozialdemokrat, zieht über Platz eins der hessischen PDS-Landesliste als Parteiloser ins Parlament ein. Er war von 1975 bis 1987 SPD-Vorsitzender in Frankfurt am Main. Nach 53 Jahren Mitgliedschaft trat er im März 1998 mit scharfer Kritik am „neoliberalen“ Kurs von Gerhard Schröder aus der Partei aus. dpa
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In der SPD-Hochburg Dortmund hat die PDS-Kandidatin Sahra Wagenknecht Zugewinne für ihre Partei erzielt. Die Repräsentantin der Kommunistischen Plattform kam im Wahlkreis Dortmund I auf 3,3 Prozent der Erststimmen. Damit konnte sie den Stimmenanteil im Vergleich zur Bundestagswahl 1994 mehr als verdoppeln. dpa
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