: Akademische Arbeit für acht Mark
■ Berlin will studentische Hilfkräfte verbilligen. Bundesweiter Tarif?
Berlin (taz) – Es ist ein umständliches Wort, aber jedem Berliner Staatsdiener jagt es einen gehörigen Schrecken ein. „Ausstattungsvorsprung“, sprach Wissenschaftssenator Peter Radunski (CDU), und alle wußten: Jetzt geht es wieder ans Sparen. Denn „Ausstattungsvorsprung“ steht für alle Fettschichten, die Westberlin wie der Hauptstadt der DDR in den Jahren der Teilung tatsächlich oder vermeintlich gewachsen sind.
Diesmal sollte es den studentischen Hilfskräften und Tutoren an den Kragen gehen. 20,31 Mark brutto erhalten sie an den hauptstädtischen Unis pro Stunde, 18,57 Mark an den Fachhochschulen. Das ist, da hat der Senator recht, deutlich mehr als andernorts. Die meisten Bundesländer entlohnen ihre Hiwis nach einer Richtlinie der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL): 15,68 Mark an Unis, 10,92 Mark an Fachhochschulen. Doch die „Richtlinie“ ist unverbindlich. Vor allem die Ost-Länder zahlen, mit Ausnahme Sachsen- Anhalts, erheblich weniger. In Sachsen müssen Fachhochschul- Hiwis gar für acht Mark pro Stunde schuften.
Eigenmächtig kürzen kann der Berliner Senator das Hiwi-Salär aber nicht. Statt der Richtlinie gibt es in Berlin seit 1986 einen verbindlichen Tarifvertrag. Kündigen können ihn nur die hauptstädtischen Uni-Rektoren, und die weisen das Ansinnen des Senators vorerst zurück. Statt dessen wollen sie in Verhandlungen mit den Gewerkschaften erreichen, daß die Beschäftigungsdauer von mindestens zwei Jahren ebenso gekippt wird wie die Arbeitszeit von mindestens 40 Stunden im Monat.
Was in Berlin auf der Abschußliste steht, gilt Gewerkschaftern in anderen Bundesländern als Zukunftsmodell. „Es ist unsinnig“, sagt der Bonner GEW-Geschäftsführer Horst Lüdtke, „den Berliner Tarifvertrag zu kassieren, wenn es Bestrebungen gibt, einen parallelen bundesweiten Tarifvertrag abzuschließen.“ Lüdtke hatte bereits im November 1992 mit der TdL einen bundesweiten Tarifvertrag ausgehandelt. Doch die Zustimmung der Länderminister, eigentlich nur ein förmlicher Akt, blieb aus – „erstmals in der Tarifgeschichte“, so Lüdtke. Bei einer eilig durchgeführten Umfrage stellte sich heraus, daß die Verhandlungsführer das ganze Ausmaß der Unterbezahlung gar nicht kannten. Sie hatten die Mehrkosten auf der Grundlage der TdL- Richtlinie errechnet – doch in deren vollen Genuß kamen selbst von den rund 100.000 Hiwis in den West-Ländern nur wenige.
Das Argument der Kultusminister, ein Hiwi-Job sei „keine reguläre Arbeitnehmertätigkeit“, hält Gewerkschafter Lüdtke für einen Vorwand. Arbeitsgerichte hätten keinen Zweifel daran gelassen, daß Hilfskräfte dem „teilzeitbeschäftigten Personal an Hochschulen“ gleichzustellen seien. Vielleicht, so hofft er, läßt sich der Berliner „Ausstattungsvorsprung“ ja so beseitigen. Ralph Bollmann
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