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Dokument frei von Dogmen

■ Christians Baus Die Kritische Masse beleuchtet das radikale Kinotreiben von 1968

Es ist nicht leicht, das Mainstream-Publikum vor den Kopf zu stoßen. Darin zumindest hatten es Filmavantgardisten 1968 einfacher als heute: Es gab schlichtweg noch nicht alles. Sie protestierten mit neuen Erzähltechniken gegen erstarrte Konventionen und das Schnulzenkartell. Heute darf man sowieso alles machen, Skandale gehören zum guten Ton, und viel mehr Bedeutung hängt an der Vermarktung des Neuen oder des Protestes als an der Sache selbst.

Vor 30 Jahren machte eine Gruppe junger Hamburger Cineasten mit radikalen Werken auf sich aufmerksam. Schnell war klar, daß sie im spießbürgerlichen Deutschland nur organisiert den Vertrieb ihrer Arbeiten frei von Zensur gewährleisten konnten. Im Frühjahr 1968 gründete man nach New Yorker Vorbild die erste unabhängige Filmcooperative Deutschlands. Dieses „Andere Kino“ ist Thema des Dokumentarfilms Die Kritische Masse von Christian Bau, der von die thede produziert wurde.

Christian Bau, der 1965 zur ersten Filmklasse der HfbK gehörte und seine Arbeiten damals selbst über die Cooperative verlieh, enthüllt nicht nur ein Stück bisher unbeleuchteter kulturpolitischer Geschichte der Hansestadt, sondern ermöglicht auch einen unverstellten Blick auf diese Gruppe, die ihre Stadt zum Zentrum des deutschen Undergroundfilms machten. Bau läßt sie alle zu Wort kommen, und der Zuschauer erfährt von ihrer Motivation, ihren Idealen und von der besonderen Stimmung, die gerade in Hamburg ein Entstehen des „Anderen Kinos“ bewirkte. „Radikal zu sein, war eine Frage der Hygiene, war ein Ideal“, kommentiert Thomas Struck. Bernd Upnmoor beschreibt: „Ich habe immer versucht, das zu zeigen, was ich noch nie zuvor auf der Leinwand gesehen habe.“

Die Kritische Masse zeigt noch einmal die Orte, an denen in dieser Stadt Film entstand: Werner Grassmanns Filmmacherei in der Brüderstraße, der Arbeitskreis für Film und Fernsehen an der Universität und das kleine Studio Cinegrafik in Blankenese, in dem unter der Obhut von Helmut Herbst und Franz Winzentsen Animationsfilme entstanden. Es wird deutlich, daß damals der Umgang mit dem Medium noch unvoreingenommen und idealistisch war, nicht nur weit entfernt von Hollywood, sondern auch weit ab von den schönen, nicht unkritischen Werken des „Jungen Deutschen Film“ in München. Bau, der jenen Produktionen nie besondere Aufmerksamkeit geschenkt und den deutschen Erfolgsfilm Zur Sache Schätzchen bis heute nicht gesehen hat, interessiert gegenwärtig vor allem die Frage, wie neben dem alles einnehmenden Mainstream ein innovativer und kreativer Umgang mit Film heute aussehen könnte. Was hat sich geändert? Die Hamburger Revolutionäre von einst sind älter geworden, doch angepaßt sind sie nach wie vor nicht.

Andernorts werden Glaubenssätze postuliert, um sich rückzubesinnen. Den Begründern von „Dogma 95“ etwa, den Dänen Lars von Trier und Thomas Vinterberg, fällt es heute leicht, idealistisch zu sein. Offensichtlich läßt sich ihr Einsatz von Handkamera und Originalton besser verkaufen als die Herangehensweise der 68er-Clique, die kein Dogma brauchte – und Interviews wohl kaum im Atlantic gegeben hätte.

Isabel Gentsch

„Die Kritische Masse“ wird Montag, 5. Oktober (20 Uhr) als Premiere im Abaton gezeigt. In der nächsten Woche startet er dort regulär.

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