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Die Parlamentsfrischlinge an der Hand

Mit Leitfäden und Betreuungsparlamentariern führen die Parteien ihre neuen Bundestagsabgeordneten in den Bonner Gesetzgebungsbetrieb ein. Im braunen Kuvert stecken Musteranfragen und Geschäftsordnung  ■ Aus Bonn Ruth Ciesinger

Christel Humme hat mit 48 noch mal einen Patenonkel bekommen. Er heißt Adi Ostertag und ist Vorsitzender der SPD-Landesgruppe in Nordrhein-Westfalen. Seit 27. September ist Humme keine Gesamtschullehrerin mehr, sondern Abgeordnete der SPD im Bundestag. Und der erfahrene Parlamentarier Ostertag soll als „Pate“ helfen, mit den größten Schwierigkeiten beim Gesetzemachen klarzukommen.

Solcherlei Schwierigkeiten haben derzeit einige in Bonn. Von den 669 Abgeordneten, die im vierzehnten Bundestag sitzen werden, sind 178 neu ins Parlament gewählt worden. Um den neuen Volksvertretern den Einstieg zu erleichtern, haben sich die Parteien einiges einfallen lassen.

Geschätzter Patenonkel

Christel Humme weiß die Unterstützung zu schätzen, die sie von ihrem „Patenonkel“ bekommen hat. Mit fast 60 Prozent der Stimmen hat sie zwar den Wahlkreis Bochum II deutlich gewonnen. „Wenn ich etwas gebraucht habe, habe ich mich in Wahlkampf auch immer an seine Büromitarbeiter wenden können. Kontakte habe ich auf dem Weg auch viel leichter geknüpft“, sagt die bisherige Kommunalpolitikerin aus Witten.

Die SPD, die sich bereits seit Frühjahr um ihre Kandidaten kümmerte, hat sie mit Informationsmaterial eingedeckt. Darunter der „Wegweiser für Abgeordnete“ der Bundestagsverwaltung, der so ziemlich alle Adressen und Ansprechpartner auflistet, die während einer Parlamentskarriere nützlich sein könnten – egal, ob es sich um den Beginn der christlichen Morgenfeier an Sitzungstagen oder die Beschäftigung von Mitarbeitern handelt. Vor der ersten Fraktionssitzung der SPD mit allen alten und neuen Abgeordneten wurde Christel Humme außerdem ein beeindruckend dicker Packpapier-Umschlag zugestellt. Inhalt: Wie stelle ich eine Anfrage, welche Abstimmungsverfahren gibt es, und auch die Geschäftsordnung der Partei lag dabei. Für die Lektüre des Materials hat Humme keine Zeit, denn ihr Terminplan für die nächsten Tage ist schon wieder voll ausgefüllt.

Katherina Reiche will erst mal abwarten. Auch bei der CDU/ CSU-Fraktion verteilt die Geschäftsführung braune Briefumschläge, die aussehen, als ob sich in ihnen viel Weisheit verbirgt. Katherina Reiche kommt zunächst nicht dazu, sich damit einzudecken. Die 25jährige ist ständig von Kamerateams und Reportern umgeben, die alle ein Interview mit der jüngsten Unionsabgeordneten führen wollen. Die Brandenburgerin läßt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Freundlich und überlegt gibt sie ihre Antworten. Ähnlich behutsam nimmt sie ihr Mandat wahr. Sie möchte erst mal „viele Gespräche führen und viel zuhören“, sagt die Brandenburgerin, um „zu wissen, wie der Organismus hier in Bonn funktioniert, um dann ein eigenes Konzept zu entwickeln“. Auch sie hat von ihren Parteifreunden in Brandenburg viel Unterstützung erfahren, und nach der Fraktionssitzung hat es eine einstündige Einführung der Fraktionsgeschäftsführung für neue Abgeordnete gegeben. Das findet die Diplom-Chemikerin „hilfreich“. Daß sie in ihrer Partei auf keinen Paten zurückgreifen kann, stört sie indes nicht. „Es reicht mir zu wissen, wer sich in welchem Gebiet auskennt. Ich gehe den Leuten dann so lange auf den Geist, bis sie mir erzählen, was ich wissen will“, sagt Katherina Reiche. „Das Wichtigste ist mir gesagt worden, alles andere kann ich nachlesen. Ich habe nie erwartet, daß mich jemand an die Hand nimmt und mir alles erklärt.“

Ekin Deligöz hat sich kurz vor der Wahl noch „super überfordert“ gefühlt. Sie ist für die Grünen in den Bundestag gezogen und gehört mit 27 Jahren ebenfalls zu den jüngsten Abgeordneten. Bevor sie am 28. September von Ulm nach Bonn gefahren ist, um an der Klausurtagung der Fraktion teilzunehmen, hat sie sich noch beklagt, daß die Partei sie herzlich wenig auf ihr Amt vorbereitet hat. Sie habe den Eindruck gehabt, daß „die Einführung erst dann kommt, wenn alles schon gelaufen ist“. In Bonn nahm sie die Möglichkeit zum informativen Einzelgespräch gar nicht mehr wahr. Die Frage, in welchen Ausschuß sie kommt, was mit ihrem Büro passiert, das wird sich alles in den nächsten Wochen klären. „Ich will die Fragen dann stellen, wenn sie auftauchen“, sagt Ekin Deligöz. „So ohne Anlaß fällt mir gar nicht ein, wo ich konkret Hilfe benötige.“

Monika Balt fühlt sich „wie ein neugeborenes Kind“. Mit 47 hat sich für die Frau aus Cottbus alles geändert. Die Vorsitzende des Arbeitslosenverbandes ist über die Landesliste der PDS als Parteilose in den Bundestag gewählt worden. Das war nach ihrem eigenen Bekunden „so unrealistisch“, daß sie den „Wegweiser für Abgeordnete“, den sie im August erhielt, erst mal ungelesen wegräumte. Bonn kennt Monika Balt bis jetzt nur „von der Straße“ – als sie bei zwei Demonstrationen am Rhein entlangspazierte und von einer Veranstaltung der PDS-Bundestagsgruppe. Deswegen ist sie froh, daß die PDS nach der Wahl für alte und neue Abgeordnete ein zweitägiges Seminar organisiert hat. Außerdem ist eine Führung durch die Bonner Gebäude geplant, damit sich die Neulinge am Anfang nicht verlaufen. „Ich weiß schon, daß ich mir jetzt ganz viele Beulen holen werde“, sagt Monika Balt.

Büroleiterin ist schon da

Dirk Niebel von der FDP hat zwar noch kein Büro – aber eine Büroleiterin. Dabei hat sich der Heidelberger extra eine Dame ausgesucht, die schon in Bonn gearbeitet hat. Weil sie sich sowohl inhaltlich als auch vom Ablauf her auskennt, hofft Dirk Niebel, einiges an Unterstützung von ihr zu bekommen. Ansonsten will sich der ehemalige Arbeitsvermittler aber „selbst durchwursteln“. Denn er muß „ja nur nachlesen“, wie der Bonner Betrieb so funktioniert. Größere Sorgen macht ihm derzeit die Suche nach einer Kinderfrau für seine zwei kleinen Söhne. Bevor er Abgeordneter wurde, teilte er sich mit seiner Frau die Betreuung der Söhne. Jetzt muß jemand anderes seinen Part übernehmen.

Uwe Jens hingegen kennt den Bonner Alltag inzwischen mehr als gut. Seit über 25 Jahren ist er für die SPD im Bundestag. Er glaubt, daß ein neuer Abgeordneter vier Jahre braucht, um sich im Bundestag einzuleben. Und selbst ihm passiert es noch ab und zu, „daß er auf einmal in einem Saal steht und sich nicht mehr auskennt“.

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