Das Ticken des Gottesmanns

Als Karl Marx schrieb, Religion sei Opium fürs Volk, hatte er „Apostel!“ noch nicht gesehen – Robert Duvalls Versuch, den religiösen Süden der USA zu verstehen  ■ Von Thomas Winkler

Es begab sich zu der Zeit, daß Robert Duvall, der verdiente Schauspieler des Herrn, die Ochsentour machen mußte. Einen Film zu drehen, in dem man nicht nur Regie, Koproduktion, Hauptrolle und Drehbuch selbst übernimmt, sondern den man auch noch zum Teil aus der eigenen Tasche finanziert, scheint nämlich fast ein Stück Kuchen im Vergleich zu den Werbeverpflichtungen. So fand sich Duvall in der Late-Night- Talkshow von Jay Leno wieder, hatte sich die eh nicht mehr so üppigen Haare so streng nach hinten pomadiert, daß ein unahnsehnlicher Nackenspoiler entstanden war, und sollte nun hier der Nation seinen neuen Film „The Apostle“ verkaufen. Einen Film, in dem weder Schiffe untergingen noch urzeitliche Monster amerikanische Großstädte in Schutt und Asche legten. Es gab nicht mal was zu lachen in seinem Film. Was zum Teufel sollte er hier?

Anstatt zum üblichen beschwingten Geplauder anzuheben und einen Schwank aus wahlweise a) seiner Jugend, b) dem letzten Thanksgiving oder c) von den Dreharbeiten zu erzählen, unterband Duvall jeden Versuch von Leno, hier eine Show wie viele andere auch zu machen. Dazu bediente er sich eines flackernden Blicks, der selbst Christoph Daum verängstigt aus dem Studio getrieben hätte. Der blanke Wahn lag in diesen Augen. Zehn Jahre Bemühen um die Finanzierung des Films, zehn Jahre Frust und die Offensichtlichkeit, hier mißverstanden zu werden, all das war zu lesen in diesem Blick. Es sollte eines der kürzeren Interviews in der Geschichte von Lenos Show werden – und wahrscheinlich das erste, das sich wirklich und ausschließlich um den Anlaß drehte.

Es war genau dieser Blick, den man von Duvall eigentlich bei seiner Darstellung des Predigers Sonny Dewey erwartet hätte. Den Blick eines Mannes, der in „Apostel!“ zuerst seine Frau und seine Kinder, dann seine Gemeinde verliert, den Geliebten seiner Frau ins Koma prügelt – und sich von dannen macht, Buße zu tun. Nicht so, wie es die irdische Justiz von ihm verlangen würde, sondern so, wie der Prediger selbst seinen Gott interpretiert: Er zieht von Texas nach Louisiana, renoviert eine verlassene Kirche, rührt tüchtig die Werbetrommel und baut eine neue Gemeinde auf, bevor ihn dann doch sein irdisches Schicksal ereilt.

Als Marx schrieb, Religion sei Opium fürs Volk, hatte er keinen Prediger vor Augen, wie ihn Duvall in „Apostel!“ darstellt. Einen, der seine Kindheit in schwarzen Gospel-Gottesdiensten verbrachte – und seitdem das Handwerk auch und wohl nicht zuletzt als Entertainment versteht. Einen Priester, der Ehebruch begeht und sich für seine Sache schon mal schlägt, um das anschließend kurz und bündig persönlich mit seinem Gott abzumachen.

Duvall spielt den Gottesmann, dem des öfteren die Gottesfurcht abgeht, als den widersprüchlichen Charakter, der er ist. Die gelegentlichen abrupten Ausbrüche, die es in dem Film ebenso gibt wie die durchdachte, geplant eingesetzte Gewalt, werden dadurch um so beängstigender. Sonny Dewey ist nicht wegen seiner drastisch inszenierten Predigten furchteinflößend, nicht weil er ein religiöser Spinner ist, sondern gerade weil Duvall ihn vor allem doch als Menschen darstellt.

Dazu kann Duvall den flackernden Wahn im Blick nicht brauchen. Seine Darstellung ist zwar nicht so reduziert wie in der Rolle des Familienanwalts der Corleones in der Paten-Trilogie (für die er den Oscar bekam), aber doch wesentlich diffiziler, als die meisten Schauspieler das angelegt hätten. Filmisch ist „Apostel!“ trotzdem schlicht geraten, und das wohl nicht nur wegen der begrenzten finanziellen Möglichkeiten, sondern auch, weil Duvall den Dokudrama-Charakter verstärken wollte. So sind nur die allerwichtigsten Rollen mit professionellen Schauspielern besetzt, der Rest sind Laiendarsteller.

Wir tauchen ein in eine Welt, wie sie uns halbwegs aufgeklärt doch noch in den 90ern angekommenen Mitteleuropäern nicht fremder sein könnte. Eine Welt, in der zwar Autos gefahren werden, diese aber mitten auf einer Kreuzung gestoppt werden, weil der Fahrer neben dem Auto niederknien muß, um Gott nach dem rechten Weg zu fragen. Wenn der Bus, der die Schäfchen zur Kirche bringen soll, einen Platten hat, aber sich unter einem Sitz zufällig ein Wagenheber findet, wird das sofort als Wunder gebucht und ausführlich Jesus gedankt. In jeder anderen Welt würde Dewey in der Nervenklinik landen, weil er andauernd mit sich selbst redet. In dieser Welt steht er in einem ständigen Dialog mit Gott.

Aber Duvall macht sich nicht lustig über diese Menschen, schon gar nicht über seine Rolle. Selbst wenn Sonny Dewey im weißen Anzug und mit Sonnenbrille zu den Rhythmen der Kirchenkapelle auf die Bühne springt und den Elvis unter den Predigern gibt, läßt Duvall das nicht ins Lächerliche abrutschen. Verstehen, wie diese Welt tickt, das will dieser Film.

Duvall, der das Milieu in den letzten drei Jahrzehnten bei Reisen durch den Süden ausführlich studierte, bringt eben keinen Charakter auf die Leinwand, der sich bereits gottgleich über seine Anhänger erhoben hat, der Millionen verdient und im Fernsehen Erlösung per Spendenquittung verspricht.

Dewey mag bis zur Hüfte ins lehmbraune Wasser eines Flusses steigen, um sich selbst zu taufen – noch in seiner religiösen Arroganz bleibt er ein Durchschnittstyp. Weswegen seine Fehler und seine Anmaßung letzten Endes auch durchschnittlich bleiben. „Apostel!“ zeigt die Grundstufe einer Entwicklung, die längst bei berühmten TV-Evangelisten wie Billy Graham – pervers, aber doch nur konsequent – angekommen ist. Dewey ist demgegenüber ein Anfänger. Er belohnt die Kinder, die beim Renovieren der Kirche die Bücher der Bibel aufsagen, indem er Geldscheine über ihnen auskippt. „Apostel!“ dürfte der erste Film sein, der versucht, das für den amerikanischen Süden so typische Phänomen der Wander- und Erweckungsprediger fair darzustellen. Nicht objektiv, denn Duvall ergreift Partei für die Menschen, er sieht selbst im Prediger nicht zuerst den Scharlatan und in den Gläubigen nicht nur die Verführten. Er entlarvt Bigotterie und Verlogenheit, bestreitet aber niemals, daß der Glauben ganz leicht zum kleinen und doch irgendwie auch okayen Glück werden kann. Man muß nicht an Gott glauben, um zu verstehen, was an diesem Entwurf verlockend sein kann.

„Apostel!“ Von, mit, durch und überhaupt alles: Robert Duvall. Darsteller: Farrah Fawcett, Miranda Richardson. John Beasley und June Carter Cash sind auch dabei. 134 Minuten, USA 1997