: „In einer positiven Symbiose“
Der Finanzvertrieb OVB ködert auch Arbeitslose: Sie sollen unter Bekannten und Verwandten Kunden anwerben. Anteilseigner sind namhafte Versicherungen ■ Aus Kiel Andreas Jahn
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen abends gemütlich vorm Fernseher, denken an nichts Böses, und plötzlich klingelt das Telefon. Eine freundliche weibliche Stimme fragt Sie am anderen Ende der Leitung, ob Sie ein paar Minuten Zeit haben, um Ihre Finanzsituation zu optimieren. Nun, derartige Anrufe kennen Sie vielleicht schon, und Sie glauben, der diskrete Hinweis, Sie gehörten zum erlauchten Kreis der über vier Millionen Arbeitslosen in diesem unserem Lande, mache der netten Anruferin klar: „Bei mir ist nichts zu holen.“ Doch plötzlich nimmt das Telefonat eine andere Wendung. Wie wäre es denn mit einer lukrativen Tätigkeit im Bereich Finanzberatung, lautet nun die Frage. Der Einwand des verdutzten potentiellen Mitarbeiters, davon überhaupt keine Ahnung zu haben, beeindruckt die andere Seite wenig. Flugs ist ein Termin für ein unverbindliches Vorgespräch vereinbart.
Mit solchen Anrufen wirbt die Kölner OVB-Allfinanzvermittlungs GmbH nicht nur Kunden, sondern auch potentielle Mitarbeiter an. Der Konzern gehört mit 20 Millionen Mark Gesellschaftskapital zu den vier umsatzstärksten Strukturvertrieben im Finanzberatungsgeschäft. Erst auf Anfrage erfährt der neugierige Kunde, wofür die Abkürzung OVB ursprünglich stand: Objektive Vermögensberatung. Dieser Name scheint dem Konzern inzwischen selbst peinlich zu sein. Weder im Briefkopf noch in den Hochglanzbroschüren taucht der Name voll ausgeschrieben auf. Dafür erfährt der geneigte Leser hier, wer bei der OVB das Sagen hat: 70 Prozent gehören der Versicherungsgesellschaft Deutscher Ring, jeweils 15 Prozent teilen sich die Volksfürsorge und die Iduna/Nova. Wie weit angesichts dieser Beteiligungen eine „objektive“ Beratung gewährleistet ist, sei dahingestellt.
Die OVBler verstehen ihr Geschäft. „Wir sind hier alle rhetorisch fit“, gibt Udo Keller von der OVB-Geschäftsstelle in Neumünster bei einem Vorstellungsseminar für zukünftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter offen zu. Sein Chef, Bezirksdirektor Helmut Krambeck, erläutert dem in Finanzfragen unbedarften Publikum, drei Frauen und vier Männern, das Motto der OVB: „Wir reden über Geld.“ Geschickt angereichert mit rhetorischen Fragen, persönlichem Ansprechen und flink aufgemalten Schaubildern stimmt der 36jährige seine zukünftigen Untergebenen auf das Finanzgeschäft ein: „Wir sind hier in einer positiven Symbiose.“
Eine phantastische Karriere als FinanzberaterIn mit immensen Verdienstmöglichkeiten steht laut Krambeck jedem offen. An vier Abenden sowie zwei Samstagnachmittagen werden die zukünftigen Verkaufsasse fit gemacht und sollen dann mit umfangreichen Fragebögen bei ihrer Kundschaft eine „Finanz-Subventions-Analyse“ durchführen. Die Qualifikation scheint hierbei keine Rolle zu spielen. Krambeck: „Das kann jeder, der lesen und schreiben kann.“ Nur für die eigentliche Beratung sei etwas Fachwissen nötig, das aber in drei Monaten nebenbei abends erworben werden könne.
OVB-Mitarbeiter leben ausschließlich von Provisionen für vermittelte Verträge, finanziert von den profitierenden Banken und Versicherungsgesellschaften. Als quasiselbständige Unternehmer arbeiten sie somit auf eigene Rechnung und eigenes Risiko, ohne soziale Absicherung. Ein Vertrag, bei dem der Kunde beispielsweise 100 Mark monatlich investiert, bringt 125 „Einheiten“. OVB-Neueinsteiger erhalten zu Beginn der Laufbahn für jede Einheit drei Mark. Sind genügend Einheiten gesammelt, steigen die Mitarbeiter die Karriereleiter auf, und die Einheits-Vergütung wächst.
„Geschäftsstellenleiter können Sie schon nach neun Monaten werden“, versichert Krambeck. Ein solcher Geschäftsstellenleiter verdient nicht nur an den selbst vermittelten Verträgen, sondern auch an den Provisionen der ihm untergeordneten Mitarbeiter. Wer bei der OVB seinen Lebensunterhalt bestreiten möchte, ist also gezwungen, in kürzester Zeit viele Verträge mit möglichst hohen Beiträgen zu verkaufen und nebenbei noch neue Mitarbeiter anzuheuern.
Diese Mitarbeiter sind natürlich wiederum potentielle Kunden. „Der erste Kunde war ich selbst“, beschreibt Krambeck den Start seiner eigenen Karriere. Entsprechend spornt er die Seminarteilnehmer an, im Bekanntenkreis nach potentiellen Kunden zu forschen: „Wie viele Leute kennen Sie, die in den eigenen vier Wänden wohnen möchten?“ Dies soll natürlich gleich konkretisiert werden. Die Teilnehmer erhalten ein Heft mit dem Titel „Meine persönlichen Kontakte“, das genaue Anweisungen zum Auffinden potentieller Klienten enthält: „Ich durchforste chronologisch mein Leben... Ich fülle die folgenden Seiten vollständig nach den dort aufgeführten Suchkriterien aus... Ich sortiere anschließend diese Namen nach OVB-Programm-orientierten Zielgruppen. Ich habe mit meinem Betreuer Telefongespräche trainiert. Gegen mögliche Einwände habe ich wirksame Argumente zur Hand. Ich nehme mit den notierten Personen Kontakt auf und mache Termine.“ Es folgt eine umfangreiche auszufüllende Liste mit Namen von Verwandten, ehemaligen Kollegen, Schulkameraden usw. Diese sollen in einer zweiten Liste nach potentiellen Zielgruppen sortiert werden.
Krambeck schließt seinen Vortrag mit einem Zitat aus der Zeitschrift Finanztest, wonach jedem Finanzdienstleister ein Markt ohne Ende offen stände. Dies ist sicherlich richtig. Krambeck erwähnt natürlich nicht, daß laut Finanztest die von der OVB vermittelten Verträge „für den Kunden nur selten bedarfsgerecht“ sind. Und auch die Verbraucherzentrale Kiel rät davon ab, sich von OVB beraten zu lassen. Mit Hinweis auf die Besitzer der Firma durch die Versicherer Deutscher Ring und Iduna sprechen die Verbraucherschützer bei der OVB davon, die Firma leiste „keine seriöse Beratung“.
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