Psychologische Postkarten

■ Kostbar silbrige Mitteltöne: Ewa Kupiec in der Musikhalle

Das Programm vom Donnerstag abend in der Musikhalle hätte genau umgekehrt ablaufen müssen, wäre es nach deutscher Konzerttradition gegangen. Aber die Pianistin Ewa Kupiec kommt aus Polen. Sie programmierte den populären Höhepunkt vor die Pause, die unbekannteren Sachen danach.

Ihr polnischer Landsmann Lutoslawsky soll von ihr gesagt haben, ihr Spiel sei virtuos und von „instinktiver Individualität“. Was immer das heißen soll, Ewa Kupiec machte schon im kurzen C-Dur-Aufgalopp der Préludes op. 28 von Chopin deutlich, daß es ihr weniger um analytische Durchdringung oder Aufriß baulicher Dimensionen geht als um intuitiv-spontanes Erfassen und Darstellen psychologischer Momente. Dafür bieten die Préludes Gelegenheit. Sie sind ein Lexikon der Melancholie. Kupiec schlug dessen Seiten mit weicher Hand und hochempfindlichen Fingerspitzen auf, mit teils starken Kontrasten zwischen Gesangslinie der rechten und verhangen-dissonanten oder virtuos umspielenden Begleitfiguren der linken. Wunderschön ihr Mezzoforte, nur bisweilen ein Gran zuviel Absicht hinter der Spontaneität. Und wann immer das Tempo anzog, wie im fis-moll Agitato oder im b-moll Fuoco, glitten ihre Finger so flink über die Tasten, daß Konturen sich verflüssigten und Details verwischten. Dann klang in schnellen Tempi alles allzu gleich.

Nach der Pause die Préludes op. 1 von Karol Szymanowski. Sie sind in die Neuzeit vorgerückter Chopin, erinnern insoweit an Rachmaninow und lagen ihr besser. Und noch besser danach des Tschechen Janacek verwunschen-zarte Komposition Auf verwachsenem Pfad, in der sich Kupiec' Gabe der Zeichnung kostbar silbriger Mitteltöne und Stimmungen krönend bewährte. Paderewskis Tatra-Album op. 12 war da nur noch pathetisch-schöne Kunstpostkartensammlung mit Volkstänzen, bestens geeignet für den großen Schlußeindruck. Das Publikum war begeistert. Vier Zugaben. Stefan Siegert