piwik no script img

Wellness-Ausbildung: Massagepractitioner

■ „Norddeutsche Massageschule“ hat sich gegründet / Weil staatlich geprüfte Masseure aussterben, boomt der Kurzlehrgang

Das Angebot klingt verlockend: „Neue Berufsperspektiven“ bietet seit kurzem ein neu gegründeter Verein in Bremen an – für alle, die pflegerisch-sozial tätig sind oder die einfach Spaß am Massieren haben: Der Verein „Reläx e.V.“ eröffnete am Freitag in Bremen die „Nordeutsche Massageschule“ im Viertel. Dort können sich Interessierte an acht Wochenenden zum „Massagepractitioner“ ausbilden lassen. Das Berufsfeld des staatlich geprüften Masseurs sei nämlich gerade am Aussterben, Ärzte würden immer weniger medizinische Massagen verschreiben. Wer aber trotzdem Entspannung suche, wende sich in Zukunft verstärkt an Saunen, Fitness-Center oder Kosmetikstudios: Das laut Schule künftige Arbeitsfeld der neuen „Masseure“ – ganz im Trend der nach Fitness und Wellness lechzenden Kundschaft.

Tatsächlich grenzt sich die „Norddeutsche Massageschule“ klar von den staatlich anerkannten Schulen ab. Der Verein will Menschen ausbilden, die ausschließlich „am Gesunden“ massieren – und das nur zum Wohlfühlen und Entspannen, erklärt der Schulinitiator und künftige Ausbildungsleiter Bernhard Schillmöller. Alles andere wäre auch nach dem geltenden Recht nicht erlaubt: Nur staatlich geprüfte Masseure, die bis zu drei Jahre Ausbildung hinter sich haben, dürfen Kranke heilen – und sich die Berufsbezeichnung „Masseur“ ans Klingelschild schreiben. Die Bremer AbsolventInnen nennen sich dagegen rechtlich-korrekt „Massagetherapeut“ oder „Massagepractitioner“ – und durchlaufen 130 Unterrichtsstunden statt der 640 Stunden, die bei einer staatlichen Ausbildung angesetzt sind.

„Das reicht auch völlig aus“, sagt Ausbildungsleiter Bernhard Schillmöller. Die AbsolventInnen sollen schließlich keine medizinische Massage erlernen – sondern „Menschen massieren, die auftanken und zur Ruhe kommen wollen“. Die Schule bilde deshalb in „ganzheitlich energetischer Massage“ aus – einer Mischung aus klassischer Massage, biodynamischer Massage nach Gerda Boysen und östlichen Praktiken wie Akupressur. Dabei soll explizit „der ganze Mensch in den Massageprozeß“ miteinbezogen werden. Die SchülerInnen lernen laut Schillmöller aber auch, wann Massage nicht angesagt ist – etwa bei Bandscheibenvorfällen oder Fieber. Die Abschlußprüfung werde deshalb von von einer Sportmedizinerin abgenommen, „um Risiken auszuschließen.“

Dieser „halbmedizinische Touch“ kommt hingegen beim staatlich anerkannten Bremer Lehrinstitut für Physiotherapie nicht gut an. „Ich finde es begrüßenswert, daß auch Private lernen, andere ein bißchen zu massieren“, sagt Schulleiter Klaus Hannken-Illjes. Doch tatsächlich sei es „risikohaft“, wenn bestimmte Krankheiten nicht erkannt würden – und trotzdem massiert werde. Die staatlich geprüften Masseure würden allein 640 Stunden in Massage ausgebildet. „Sie wissen viel besser über Anatomie Bescheid“, meint auch eine Vertreterin des Bremer Berufsverbandes für Physikalische Therapie. Etwas „skeptisch“ stehen deshalb beide dem neuen Angebot gegenüber – obwohl sie genau wissen: Der staatlich geprüfte Masseur verliert tatsächlich mehr und mehr an Bedeutung.

Die Jobchancen für Masseure stünden in der Tat schlecht, bestätigt eine Berufsberaterin im Bremer Arbeitsamt. Das Bremer Lehrinstitut für Physiotherapie ist in der Tat die letzte Lehrstätte, die in Bremen überhaupt noch Masseure ausbildet. Die sogenannte „Marnitz-Schule“ in Bremen-Farge hat vor kurzem wegen fehlender Nachfrage nach Schulplätzen schlichtweg dichtgemacht.

Die Massage habe es nicht geschafft, sich durch wissenschaftliche Untermauerung eine Daseinsberechtigung zu schaffen, gibt Schulleiter Hannken-Illjes selbstkritisch zu. Erst jetzt gebe es in Deutschland den bundesweit ersten Lehrstuhl für Physikalische Therapie. Im Zuge der Gesundheitsreform würden Ärzte immer weniger Massagen verschreiben – „weil sie denken, das sei nur so zum Wohlfühlen gedacht – und aktive Therapie wie zum Beispiel Krankengymnastik“ sei besser für den Patienten.“ Die Folgen dieser Praxis: Immer mehr junge Menschen lassen sich lieber gleich zum Physiotherapeuten (also Krankengymnasten) ausbilden – ein Trend, den sich jetzt die neue Bremer „Norddeutsche Massageschule“ einfach zunutze gemacht hat.

Der erst Kurs im November ist längst voll belegt. Der neue Kurs beginnt im Februar 1999 und kostet rund 2.500 Mark. Infos bei „Reläx e.V.“ unter Tel.: 3477 349.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen