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„Nach Neuengamme ? Dann lieber in den geschlossen Knast“

■ Bevor das Gefängnis in den Vierlanden verlegt wird, baut die Justizbehörde noch einmal die Zellen um

In seiner Zelle steht Jörg F. (Name geändert) an ein Etagenbett gelehnt und ist genervt. Acht Männer teilen sich hier engsten Raum. In dem kleinen Zimmer stehen vier Fernseher und mindestens ebenso viele Radios. „In Santa Fu hatte ich eine Einzelzelle“, erzählt F. „Da wäre ich lieber geblieben.“

Dabei ist F.s Verlegung in das Gefängnis Neuengamme die erste Station auf seinem Weg in die Freiheit: auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers wird offener Strafvollzug praktiziert. Die Sicherheitsvorkehrungen sind geringer, die Gefangenen können sich tagsüber frei auf dem Anstaltsgrundstück bewegen und bekommen Freigang in die Stadt. Dennoch lehnen viele ihre Verlegung in den offenen Vollzug ab. Denn in Neuengamme haben sie keinerlei Privatsphäre. Die Säle sind eng, Stockbetten und einzelne Liegen wurden hingestellt, wo immer ein Fleckchen frei war.

Deshalb hat die Justizbehörde beschlossen, aus den Schlafsälen Zwei-Mann-Zimmer zu machen. Die Umbauten wurden von der Bürgerschaft gebilligt, obwohl das Gefängnis aufgegeben wird. Schließlich „praktizieren wir hier und jetzt Strafvollzug“, sagt Andreas Puck, Leiter der Anstaltsbetriebe in Neuengamme.

Schon seitdem auf dem KZ-Gelände ein Gefängnis errichtet wurde, mahnen Überlebende des Nationalsozialismus an, dort eine Gedenkstätte zu errichten. Nun hat die Stadt erstmals Haushaltsmittel für die Verlegung des Gefängnisses bereitgestellt. Im Jahr 2003 soll der Neubau in Billwerder stehen. Dann werden die Gefangenenunterkünfte wohl abgerissen, um die Umrisse der alten Baracken wieder sichtbar zu machen.

Dann soll auch der frühere Apellplatz nicht mehr zum Fußballspielen genutzt werden. Wo früher die Häftlinge in Reih und Glied antreten mußten, ist derzeit noch der Sportplatz des Gefängnisses. Ein verwaistes Fußballtor läßt selbst dann kaum Gedanken an die NS-Zeit aufkommen, wenn keine Spieler auf dem Rasen sind. Es herrscht friedliche Stimmung auf dem Gelände. Hier und da sind Blumen gepflanzt, Grün wuchert zwischen den Gebäuden. Von dem Grauen, das einst auf dem Grundstück lastete, ist nichts zu spüren.

Dennoch: Wo heute Strafgefangene ihre Arbeit verrichten, mußten auch KZ-Häftlinge Dienst tun. Die Werkstätten und das Verwaltungsgebäude sind erhalten geblieben. Lediglich die Baracken, in denen die Gefangenen im Nationalsozialismus hausen mußten, wurden abgerissen. Die jetzigen Zellentrakte wurden 1950 allerdings auf demselben Terrain errichtet.

Über die Flure der Wohngebäude verteilt hängen unauffällige, graue Metallkästen. Seit rund eineinhalb Jahren können die Insassen hier gebrauchte Spritzen gegen neue eintauschen. In Neuengamme hatte Wolfgang Hoffmann-Riem (parteilos), der Vorgänger von SPD-Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit, ein Pilotprojekt zum Spritzentausch für drogensüchtige Gefangene gestartet. Eine abschließende Bewertung liege noch nicht vor, es gäbe jedoch keine Anzeichen, daß es sich nicht bewährt habe, sagte Peschel-Gutzeit gestern bei einem Anstaltsbesuch. Sollte die Bilanz tatsächlich positiv ausfallen, wolle sie auch im geschlossenen Strafvollzug den Spritzentausch einführen.

Elke Spanner

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