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Stütze-Bezieher als „Stadtteilsklaven“?

■ Grüne protestieren gegen Projekte des Gröpelinger Sozialamtes / Wenn diese Beispiele Schule machen, könnten künftig alle Sachbearbeiter nach Gutdünken niedere Jobs verteilen

Die Grünen fürchten um den menschenwürdigen Umgang mit den SozialhilfeempfängerInnen in dieser Stadt. „Befremdet“ ist die Fraktion neben der Aktionsgemeinschaft arbeitsloser BürgerInnen in Walle (AGAB) und der Evangelischen Kirche über Dinge, die sich derzeit in Gröpelingen zutragen. Dort vermittelt das Sozialamt selbständig „seine“ Sozialhilfeempfänger in Projekte, die das Amt selber angeschoben hat – zum Beispiel in den „Streichelzoo“. „Wenn das Schule macht, hat künftig jeder Sozialamtsmitarbeiter seinen Stadtteilsklaven“, erregt sich die grüne Sozialpolitikerin Karoline Linnert und fordert Aufklärung von Sozialsenatorin Tine Wischer (SPD).

Derzeit organisiert allein die Werkstatt Bremen, ein städtischer Eigenbetrieb der Stadt, das Programm „Hilfen zur Arbeit“ – mit seinen jährlich rund 44 Millionen Mark für Beschäftigungsmaßnahmen. „Jetzt weisen Sozialamtsmitarbeiter einfach Jobs zu – obwohl sie keine Berufsberater und deshalb gar nicht qualifiziert sind“, kritisiert Wolfgang Völker vom kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA). Die Werkstatt Bremen suche dagegen individuell nach Perspektiven – wie zum Beispiel im neuen Programm „Arbeit statt Sozialhilfe“ für Menschen unter 27 Jahren (siehe unten).

Während die Kirche das Gröpelinger Projekt noch als „Stilblüte“ abtut, wittern die Grünen echte Gefahr: So gebe es offenbar in den Sozialämtern generell „Begehrlichkeiten“, an dem über 40 Millionen Mark schweren Programm teilzuhaben – um Hilfsempfänger schnell „in Arbeit und damit vom Tisch zu kriegen“, vermutet die Grüne Linnert. Ihre Befürchtung: „Kein Bereich eignet sich so sehr für Mißbrauch wie der Beschäftigungssektor“. Wenn eine Sozialamts-Abteilungsleiterin zum Beispiel private Kontakte zu Trägern wie der AWO habe, „könnte sie sagen: Laß uns doch mal zehn Leute schicken, die können im Altenheim die Pisspötte wegtragen.“

Diese Aufregung kann man im Hause von Sozialsenatorin Tine Wischer (SPD) nicht verstehen. Es sei explizit „politischer Wille“, die Sozialämter künftig stärker an der Jobvermittlung zu beteiligen. Das Gröpelinger Projekt sei „vorbildlich für eine aktivierende Sozialarbeit“. Im Streichelzoo arbeiten Hilfseempfänger auf Prämie und bauen dort eine Jugendfarm auf, um auffällige Kids von der Straße zu holen. Dies als Sklavenarbeit „zu diffamieren“ sei „böswillig gegenüber dem Amt und verächtlich gegenüber den Personen“, sagt Sozialressort-Sprecher Bruns. Natürlich gebe es noch „erheblichen Koordinationsbedarf“ zwischen der Werkstatt Bremen und dem Sozialamt – dieser „Abstimmungsprozeß“ sei aber Anfang November abgeschlossen.

Damit aber will sich die grüne Sozialpolitikerin nicht zufrieden geben: Die Projekte würden „einfach so laufen ohne Beteiligung der Sozialdeputation. Das kann nicht sein.“ Zumal gerade ein weiteres Projekt in Gröpelingen kurz vor der Eröffnung steht: Das von der Planungswerkstatt angeschobene „Service Contor“, an dem sich eine Vielzahl freier Träger und das Sozialamt beteiligen: Sozialhilfeempfänger können dort in Prämienarbeit den Stadtteil mit sanieren. Das neue Angebot versteht sich als Hilfspfeiler für Langzeitarbeitslose.

„Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht“, sagt dazu Linnert und fragt sich: „Wer kontrolliert das?“. Doch auch diese Sorge wiegelt Sozialressort-Sprecher Holger Bruns ab: Auch hier sei noch einiges zu koordinieren. „Wir wollen eng mit der Werkstatt zusammenarbeiten“, beruhigt auch Projektleiter Ingo Warnke. Generell sei das Projekt eine gute Sache, „weil wir direkt vor Ort sind und die Firmen kennen.“ Und außerdem sei es „auch nicht immer gut, gleich feste Regeln zu haben, wenn etwas neues entsteht“, meint Ressortsprecher Holger Bruns. Katja Ubben

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