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Sydneys Bürger planen die Flucht

In 700 Tagen werden in Australien die ersten Medaillen der Olympischen Sommerspiele vergeben. Die Macher grübeln über Verkehrsprobleme und liegen sonst im Zeitplan  ■ Aus Sydney Urs Wälterlin

Sogar die Ingenieure müssen Gummistiefel tragen: Eine der größten Baustellen der Welt steht knöcheltief unter Wasser. Nicht die Technik, nicht die Zulieferer, auch nicht die Buchhalter bereiteten den Erbauern des Olympiastadions „Stadium Australia“ schlaflose Nächte – das Wetter im Winter der südlichen Hemisphäre legte das Mammutprojekt lahm. Doch von solchen Rückschlägen läßt sich Sydney nicht aufhalten. Ab sofort werde rund um die Uhr gearbeitet, hieß es in der Zentrale des Sydney Organizing Committee for the Olympic Games (Socog). „Sydney ist vor der Zeit bereit“, so der Slogan.

Die planerischen Versäumnisse von Atlanta will man nicht wiederholen. Das ist eines der Ziele der Organisatoren der 27. Olympischen Sommerspiele im Jahr 2000. Wenn ab dem 15. September in zwei Jahren während der Eröffnungszeremonie 110.000 Zuschauer 10.000 Athleten zujubeln, sollen die Australier stolz sein können auf ihre Leistung.

Eine Ortsbesichtigung läßt schon heute den Schluß zu, daß sich Sydney nicht schämen muß: Der Großteil der Austragungsorte ist bereits erstellt und sogar schon in Betrieb. In Homebush Bay, dem geographischen Herzen der olympischen Aktivitäten, 15 Kilometer westlich des Stadtzentrums, werden im Aquatikzentrum schon seit vier Jahren Meisterschaften abgehalten. Das Stadium Australia, die größte Anlage der Spiele, soll im kommenden März in Betrieb genommen werden.

Es ist kein Zufall, daß der Termin für die Eröffnung dieses Juwels in der Krone der olympischen Bauten kurz vor den Wahlen im Bundesland New South Wales (NSW) liegt. Denn Politik spielt in der Organisation der Olympischen Spiele seit 1993 eine wichtige Rolle. Damals erhielt Sydney nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit Peking vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) den Zuschlag für die Austragung. Seither gab es mehrere spektakuläre Abgänge an der Spitze des Organisationskomitees Socog – bis sich der zuständige Labor-Minister Michael Knight gleich selbst zum Präsidenten kürte. Der Schritt wurde zwar von der Opposition verurteilt, Juan Antonio Samaranch, der IOC-Chef und große Kenner großer Ränkeschmiede, sah darin aber eine Garantie für Stabilität.

Samaranch hat bis heute recht behalten: Die Symbiose zwischen Socog und den politischen Entscheidungsträgern hat sich bewährt. Das zeigt sich in erster Linie in der Frage der Finanzierung, die bisher zu keinen Problemen geführt hat. Die Kosten im Umfang von rund 2,1 Milliarden australischen Dollar (rund 2,3 Milliarden Mark) für den Bau der olympischen Anlagen werden größtenteils vom Bundesstaat NSW getragen; Socog, als Veranstalterin, mietet dann die Infrastruktur. Die Trägerschaft rechnet in ihrem Budget mit Kosten von 2,2 Milliarden Dollar und Einnahmen in Höhe von 2,3 Milliarden, was immerhin einen kleinen Planungsüberschuß ergibt. Die größten Posten auf Einnahmeseite sind Sponsorenbeiträge von 830 Millionen und Fernsehrechte in Höhe von 950 Millionen. Schätzungsweise 4,5 Milliarden Menschen werden die Olympischen Spiele am Bildschirm mitverfolgen. Das sind von vier Erdbewohnern fast drei.

Verliererin ist, wie so oft, die öffentliche Hand: Trotz Unterstützung durch die Bundesregierung und der Abgaben von Socog bleiben dem Steuerzahler von NSW unter dem Strich Kosten von 1,6 Milliarden Dollar. Daß diese Ausgaben politisch überhaupt durchsetzbar sind, ist ein Resultat guter Öffentlichkeitsarbeit: Die Anlagen würden nicht einfach für den olympischen Augenblick, sondern für die Zukunft gebaut, lautet der Lockruf der Organisatoren. Generationen von Australierinnen und Australiern sollen die Stadien, Pools und Velodrome noch benutzen, wenn die Erinnerung an die Spiele von Sydney 2000 schon längst verblaßt ist.

Wichtiger Bestandteil des Projektes ist auch der Bau von Millennium Parklands, mit einer Fläche von 440 Hektar die größte öffentlich zugängliche Gartenanlage auf dem fünften Kontinent. Sogar das olympische Dorf wird eine Dauereinrichtung bleiben: Nur einen Steinwurf vom Austragungsgelände entfernt baut ein privates Konsortium auf 90 Hektar einen völlig neuen Vorort mit 2.000 Häusern. Während der Spiele dient dieses „Newington“ als Unterkunft für 15.300 Athleten und Betreuer, danach ziehen Familien ein.

Kommentatoren sind sich uneinig, wie viele Menschen in der Zeit der Spiele nach Sydney kommen werden. Schätzungen gehen von Hunderttausenden bis Millionen von Besuchern aus. In jedem Fall gilt es, große Passagier-Volumina in den Verkehrsmitteln zu bewältigen. Wie entscheidend genügend funktionierende Transporteinrichtungen für den geordneten Ablauf der Spiele sind, haben die Erfahrungen in Atlanta bewiesen. Dort kam es zu teilweise drastischen Verzögerungen. Das dürfe in Sydney nicht passieren, meinte Olympia-Minister Michael Knight, als er vor ein paar Monaten den hochmodernen Bahnhof in Homebush Bay einweihte. Im April bestand die Verbindung ihre Feuerprobe während der traditionellen Oster- Ausstellung: Über eine Million Menschen besuchten in 16 Tagen die Veranstaltung. Nennenswerte Probleme: keine.

Während der Olympischen Spiele werden, so die gegenwärtigen Schätzungen, täglich eine halbe Million Menschen mit dem Zug nach Homebush fahren, Autoverkehr ist keine Alternative: Parkplätze gibt es am Gelände so gut wie nicht. So wird der Zug zwangsläufig das Transportmittel für das Gros der Besucher.

Ein veralteter Rest des Bahnnetzes bereitet den Verantwortlichen allerdings noch immer Sorge. Mit einem 24-Stunden-Betrieb soll während der Spiele dem Ansturm Hunderttausender Besucher auf die Stadt begegnet werden. Verspätungen sind heute keine Seltenheit. Immer wieder kommt es vor, daß Züge, deren Komfort bestenfalls mit dem eines besseren Viehtransporters verglichen werden kann, mitten auf der Strecke stehenbleiben. Unzählige Bewohner der Stadt haben deshalb schon 1993 beschlossen, Sydney in den Septembertagen des Jahres 2000 den Rücken zu kehren. Flüge nach Fidschi und Bali sind jedenfalls weitgehend ausgebucht.

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