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Mit dem Grusel der Ähnlichkeit

Überwältigend bis zur Ratlosigkeit: Gerhard Richters „Landschaften“ wurzeln auf irritierende Weise in der Ästhetik der Fotografie. Der Maler als Seher bringt die touristische Erfahrung zum Leuchten und sucht nach den Erscheinungen hinter den Zeichen  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Die Idee, Gerhard Richters „Landschaften“ zu zeigen, ist so naheliegend, daß lange niemand darauf gekommen ist. Denn das Wunder und die Wunderlichkeit dieses deutschen Malers ist seit Jahren mit dem Umstand erklärt worden, daß er „gegenständlich“ und „abstrakt“ male. Auf der Seite der Gegenständlichkeit waren also die Stilleben, Akte, Porträts, Landschaften und die RAF-Motive. Isoliert man die Landschaften, verschwindet das unproduktive Konstrukt eines angeblich widersprüchlichen Werks, und Richter, als origineller Produzent einer vermittelten Erfahrung, tritt deutlich in Erscheinung.

Die Hannoveraner Ausstellung wäre wirklich zum Thema „Landschaften“, wenn man zwei Bilder abhängen würde, das erste und das letzte. Das erste ist die störrische Studie eines Zeitungsbildes, das die Hamburger Binnenalster illuminiert zeigt, an einem Winterabend („Alster“, 1963). Das letzte zeigt ein erstaunlicherweise hellweiß gestrichenes „Besetztes Haus“ (1989) hinter wild bewegten Bäumen mit etwas Restgrün. Beide Bilder sind ganz klar „Stadtlandschaften“ und nicht „Landschaften“; und die „Stadtlandschaften“ sind im Werk Richters tatsächlich ein eigenes Sujet. Sogar der großen, pastosen Studie eines „Parkstücks“ aus den frühen siebziger Jahren – als Richter schwer beschäftigt war mit dem Überdruß – könnte man ihren Platz unter den „Landschaften“ streitig machen, denn das Bild handelt ganz unmißverständlich von der Abgründigkeit der urbanen Kunstnatur.

Die restlichen gut vierzig Gemälde füllen drei große Säle und verstricken einen gänzlich in Gerhard Richters aberwitziges Projekt, seine Gegenstandserfahrung bei der Fotografie zu leihen. Während der Maler die Konstruktion seiner Motive mit einer gewissen Pedanterie an technischen Vorgaben ausrichtet, schlittern die Betrachter allemal in ein fast unauflösliches Dilemma. Das Déjà-vu der Landschaftserfahrung überblendet sich mit dem der Fotografie, wobei „die Fotografie“ über dreißig Jahre durchaus nicht dieselbe geblieben ist.

Überwältigt bis zur Ratlosigkeit, steht man vor seinen neuen, quadratischen Ölbildern von mehr als acht Quadratmeter Fläche, die beide Ansichten vom Meer zeigen. Das eine blickt frontal in die Brandung, über der sich der Himmel weiß öffnet, um sich nach links oben in Fujiblau wieder zu verdunkeln. Das andere zeigt eine lieblichere Situation bei Ebbe. Beide Bilder sind verwurzelt in der fotografischen Ästhetik (und Pedanterie und Beschaulichkeit) der mittelformatigen Kamera – Hasselblad.

Blickt man zurück auf das berühmte „Seestück (See-See)“ von 1970, geliehen aus der Neuen Nationalgalerie in Berlin, sieht man in der frühen Arbeit plötzlich die Ästhetik der Kleinbildkamera und des schwarzweißen Films, ungeachtet der Tatsache, daß es sich um eine Collage von Vorlagen im Gemälde handelt (die Wolken dargestellt durch eine Meeresoberfläche über Kopf gedreht).

Die „Seestücke“, damals und jetzt, sind zentral für Gerhard Richters Projekt von „Landschaften“, weil die fotografisch stillgestellte Brandung den technischen Trick der Aneignung herauskehrt. Andererseits überführt Richter das Scheibchenmuster der fotografischen Belichtung in die unwahrscheinlichen Details einer besessenen Malerei.

Oft stößt er uns mit der Nase auf den Unterschied, indem er eine Ansicht bis an die Grenze der Unkenntlichkeit ins Weiche rückt, dunkle Spuren im Vordergrund (Zweige, Tang) als gestaltlosen Grusel herauskehrt, Ansichten partiell mit dem Pinsel verwischt oder mit dem Spachtel zerkratzt. Die schwächsten Bilder leben von einer zu expliziten Pädagogik der Verfremdung, was auch dann gilt, wenn der Maler sich selbst instruiert hat.

Das technische Verfahren wird transformiert in ein haptisches. Während die Fotografien im Album (Richters Album nennt sich „Atlas“) zum Index werden, entfalten sie im Gemälde wiederum ihre Gültigkeit. Sie antworten mit den Mitteln der Malerei auf die Frage nach unserem Platz in der Welt – oder wenigstens unserem Plätzchen.

Während etliche der kleinen Querformate die Betrachter verführen, sie in den Index des touristischen Albums einzureihen, bieten sie tatsächlich satte Szenen von sehr spezifischem Licht: dem finsteren Himmel über dem Vesuv, dem vorstädtischen Nebel bei Hubbelrath, dem ortlosen Licht des Schneetreibens in Davos. Was oft vergessen wird, wenn von Richters vertrackter Malerei die Rede ist: Der Maler ist ein großartiger Techniker. Selbst eine diffuse Sonne im Nebel als bildfüllendes Motiv darzustellen ist für Richter lösbar. Die Fähigkeit fotografischen Materials, sich an Details zu hängen, faltet der Maler zur Anschauung auf. Das Banale und das Erhabene stehen zusammen wie alte Freunde. Ein gewisses Grauen geht von ihnen aus, wie bisweilen von Zwillingen.

Daß die „Landschaften“ sich so brillant zueinanderfügen, geht wahrscheinlich zurück auf die fotografische Konvention, die Richter als Fotograf bedient. Es ist schon verblüffend, mit welcher Entschlossenheit Richter den geneigten, den suchenden Blick auf die Landschaft ausspart, der die künstlerische Fotografie von Raoul Hausmann bis Joachim Brohm bestimmt hat und bestimmt. Dem Impetus, der Landschaft-in-der- Landschaft (den Fußspuren, Zäunen und Gebüschen etc.) zu folgen, gibt Richter nicht nach. Der kritische Diskurs der Fotografie interessiert ihn nicht.

Man könnte sagen, daß er – als Fotograf der Vorlagen – die Fotografie als touristisches Medium erfolgreich instrumentalisiert; weil nämlich die Touristen mit ihren Sehnsüchten lauter kleine Landschaftsmaler sind. Die selbsterstellten Quellen betrachtet er dann nicht mit den Augen des Zynikers, sondern mit den Augen des Sehers, der hinter den Zeichen die Erscheinungen erahnt.

Um es mit einem Bild zu sagen: Wenn die Fotos den Moment fixieren, in dem die Natur den Mund aufmacht, zeigen Richters brillante Flächen, Wirbel und Farben, wie die Natur – gegen unsere skeptische Annahme – zu uns spricht. Daß „Natur“ im TUI-Katalog versprochen wird, muß uns nicht knicken. Denn auf dem Flug nach Teneriffa sitzt im Nebensitz ein Passagier namens Richter. Aufs globale Ganze gesehen, gehört der Meister zum Club.

Gerhard Richter: „Landschaften“, zu sehen im Sprengel Museum Hannover, bis zum 3. Januar 1999. Der umfangreiche Katalog mit Essays von Oskar Bätschmann und von Dietmar Elger (Kurator) ist im Cantz-Verlag erschienen und kostet 42 Mark

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