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Pathos mit Patina, Mitklatschen erlaubt

■ Wiedersehen nach fünfzehn Jahren: Beim Konzert von Zülfü Livaneli und Maria Farantouri stand nicht mehr die Politik, sondern die Philharmonisierung des Protestsongs im Vordergrund

Schwere Jahre waren es. Damals, in den Siebzigern, als in der Türkei politische Anarchie und bewaffneter Kampf herrschten, als sich die Generäle an die Macht putschten und kritische Intellektuelle ins Exil flohen. Den Musiker Livaneli, in der Heimat eine Integrationsfigur für oppositionelle Kurden und Türken, zog es deswegen mehrfach ins sichere Ausland – zunächst nach Schweden, später auch nach Griechenland. In jener Zeit wurde er fast zur Legende.

Heute, beim Konzert im Tempodromzelt, hat Livaneli mit einem weit geringeren Problem zu kämpfen: Er ist erkältet, für seine angeschlagene Stimme entschuldigt er sich in wohlgesetztem Englisch. Und kokettiert damit, daß viele der Anwesenden seine Stücke, einst Hymnen der Linken, ohnehin Zeile für Zeile mitsingen können. Ein bißchen Entertainer ist Livaneli eben auch.

Mehr jedenfalls als Maria Farantouri, die sich im leuchtendroten, ausladenden Abendkleid zu Livaneli auf die Bühne gesellt, um ihm beim Rekurs auf die Vergangenheit mit Interpretationen seiner Lieder, aber auch mit eigenen Songs und Theodorakis-Kompositionen solidarisch zur Seite zu stehen. Walkürengleich singt sie mit dramatischer Stimme ins ehrfürchtig ergriffene Zeltrund, während Livaneli sich neben sie auf einen Holzstuhl setzt und ihr beiläufig lauscht.

Er selbst trägt vor allem ein Potpourri seiner Greatest Hits vor, kein aktuelles oder unerwartetes Material – als Zugabe gibt es Evergreens wie „Leylim Ley“ und „Kardesim Duymaz“ sogar ein zweites Mal. Aus dem einstigen Gewissen der Türkei ist ein routinierter, freundlicher Fünfzigjähriger geworden, graumeliert und elegant, in Anzug und Krawatte eher wie ein Conferencier als wie ein Protestsänger wirkend. Das ist Livaneli auch nicht mehr. Heute ist er mehr Allround-Intellektueller als Musiker, sein Konzert mit Maria Farantouri folglich mehr nostalgische Rückschau als tagespolitisches Ereignis. Das war es durchaus vor mehr als fünfzehn Jahren, als die beiden Symbolfiguren zum ersten Mal gemeinsam in der Bundesrepublik Konzerte gaben, um, wie man damals so sagte, „ein Zeichen zu setzen“. Das politische Lied stand damals bereits in später Blüte, heute ist es ein Fall fürs Museum. Bei der Neuauflage ihrer Zusammenarbeit geht es Livaneli und Farantouri folglich weniger um Politik als um die Philharmonisierung des Protestsongs: ein neunköpfiges Orchester mit fast klassischer Instrumentierung, darunter Cello, Saz, Schlagzeug und ein wahrhaft virtuoser Kanunspieler, kleidet die mal traurig-trotzigen, mal kämpferischen Melodien in ein sattes, schmissiges Arrangement. Mitklatschen ist erlaubt.

Livaneli klärt den Teil des Publikums, der kein Türkisch versteht, über die Bedeutung der Stücke auf. „Sie wurden ein Symbol für etwas“, erklärt der Sänger unbestimmt. Das allerdings war einmal, das Pathos hat Patina angesetzt. Heute ist es einfach nur noch schöne Musik, mit reichlich Erinnerungen behaftet. Nicht mehr, aber auch nicht weniger, und deswegen denn auch viel zu schnell vorbei. Daniel Bax

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