: Die Anderen
Arno Widmann heißt in der „Berliner Zeitung“ die in Westdeutschland um 1950 Geborenen in der Wirklichkeit willkommen: Erst nach einem langen Prozeß hat sich die Generation von 1968 wieder eingeklinkt in die Geschichte der Bundesrepublik. Es lag an ihr, daß der ersten Etappe des CDU-Staates, nach kurzer Unterbrechung, eine ebenso lange zweite gefolgt war. Es war eine durch nichts zu entschuldigende Verschwendung von Talent, wenn zum Beispiel jemand wie Joschka Fischer eineinhalb Jahrzehnte lang glaubte, seine Begabung zu einem nicht geringen Teil darauf konzentrieren zu müssen, junge Hitzköpfe davon abzuhalten, mit Molotowcocktails gegen die Staatsgewalt vorzugehen. Der dafür und für verwandte Probleme geleistete Aufwand an Lektüre, physischem Einsatz und Argumentationstraining hat der Bundesrepublik und ihrer Entwicklung gefehlt. Fast eine ganze Generation, die schließlich nicht dümmer war als andere, hatte sich aus der Realität zurückgezogen und meldet sich erst jetzt, ein Jahrzehnt vor der Rente, wieder zurück. Sie hat nicht gesiegt, sie hat sich besiegt. Wenn sie diese Erfahrung gegen die herrschende blinde Selbstgewißheit einbringen kann, war der Umweg nicht ganz umsonst.
„Mehr Volkswagen statt mehr Demokratie“ meint „Libération“ aus Paris zur Automobilpolitik bei den Koalitionsverhandlungen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen: Während die künftige Mannschaft mutig in anderen Gebieten wie die Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes ist, kapituliert sie jedesmal, wenn die in Deutschland heiligen Interessen der Autofahrer im Spiel sind. Der Koalitionsvertrag wird weder eine Verringerung der Steuererleichterungen für Arbeitnehmer einschließen, die im Auto zur Arbeit fahren, noch eine Beschränkung der Geschwindigkeit auf Autobahnen, wie es die Grünen wollten. Die erste sozialdemokratische Regierung der Bundesrepublik Deutschland, die von Willy Brandt, hatte das ehrgeizige Ziel: „Mehr Demokratie“. Der Slogan, den (Gerhard) Schröder als den seinen ansieht, könnte „Mehr Volkswagen“ heißen.
„La Repubblica“ aus Rom meint zu den Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen: Rot-grüne Morgenröte in Deutschland. Im Zeichen der Preisaufschläge auf Benzin, einer Steuerpolitik, die die Unternehmen bestraft und einer entschiedenen Politik der Staatsintervention zur Umverteilung des Wohlstandes im Sinne Keynes beschließt die neue Mehrheit in Bonn ihre Vereinbarungen. Mit dem Koalitionsvertrag erblickt ein neues Deutschland das Licht der Welt, das anders aussieht als das Deutschland, das die Welt bislang gekannt hat. Und es handelt sich um einen ganz entschiedenen Sieg der Sozialdemokraten über ihre ökologischen Partner. Diese sind auf der ganzen Linie zu Konzessionen gezwungen worden.
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