: Led Zeppelin unterm Kopfkissen
■ Übergroße Schwäche für gitarrenlastige Schwerstarbeit: Italienische Bands rocken drei Nächte lang im Duncker-Club
Das globale Dorf mag immer intimer werden, aber was im italienischen Untergrund los ist, bleibt weiter ein gutgehütetes Geheimnis. Südlich der Alpen gibt es aber nicht nur pausbäckige Balladenmillionäre, notorische Ehepaare, rüstige Rockröhren und blinde Tenöre, sondern sogar einen Sci-Fi- Gary-Glitter namens Alberto Camerini, eine rührige HipHop- Szene, haufenweise Black Metal und selbst heute noch genug Death und Grind-Core, um die nächsten Jahrzehnte sämtliche Splatter- Movies vertonen zu können. Nimmt man das Programm des heute beginnenden „Italienischen Festivals“ im Duncker als repräsentativ, scheint es vor allem die gitarrenlastige Schwerstarbeit zu sein, die es den dortigen Musikschaffenden angetan hat.
So haben Icon offensichtlich ihre Led-Zeppelin-Sammlung komplett unterm Kopfkissen gelagert. Der singende Halbkastrat ist im Angebot, und auch ein gewisser Hang zur Düsternis zieht sich quer durch die möglichst komplexen Songaufbauten, in denen sich Jungs mal so richtig austoben wollen. Siebziger Jahre und immer noch kein Ende in Sicht: Wenn Icon Led Zeppelin sind, versuchen sich Arkhé am schweren Erbe von Uriah Heep. Hier arbeitet man daran, die Songs demnächst in den zweistelligen Minutenbereich auszudehnen, bevor der Hörer von der gnadenlos dahindudelnden Orgel betäubt wird. Auch hier finden sich überflüssige Fingerübungen in übertriebener Anzahl. Wenn Rockmusik zur gotischen Kathedrale wird: zu viele Verzierungen, zuwenig Kirche.
Schlechte Laune mit Hardrock vertreiben
Weniger filigran und in gewisser Weise sogar ein wenig moderner sind da schon Overlook, und wenn nur, weil ihr Hardrock wenigstens halbwegs nach achtziger Jahren klingt. Hier dürfen Gitarren zumindest zugeben, daß sie nicht dafür elektrifiziert wurden, ausgewachsene Dauerwellen für mittelalterliche Mystik zu begeistern, sondern vor allem doch dafür, schlechte Laune zu vertonen. Knapp ins aktuelle Jahrzehnt geschafft haben es immerhin Yage, die ihre Breitwandmusik selbst als „Trip-Rock“ bezeichnen, in aller epischen Länge allerdings eher an Pearl Jam und deren Hymnen erinnern. So feiert das Gitarrensolo fröhliche Urständ, während Sänger Massimiliano Vita seine Stimmbänder fröhlich flattern läßt.
Also bleibt es den Ciapisteps aus Mailand vorbehalten, zu beweisen, daß man auch in Italien mitbekommen hat, daß das neue Jahrtausend demnächst beginnt. Man hört, daß Duke J.J. Zuchetti seine ersten Erfahrungen als Bassist gesammelt hat, denn die Grundlage für seine Musik, die er reichlich egomanisch erstellt, ist immer der Rhythmus. Da kann alles passieren: Mal schleift es verträumt, mal rattern die Sequenzer, dann irrlichtert es oder eiert oder bricht unvermutet ab. Tanzmusik ist das nur sehr bedingt, dann aber mit aller Macht. Manchmal scheint es fast, als komponiere und programmiere hier jemand an seiner Doktorarbeit. Man kann so ziemlich jeden aktuellen Tanzboden- Beschallungsstil heraushören, ob Dub, Jungle, Electronica oder die Überbleibsel von Techno, nur Easy Listening will es ums Verrecken nicht werden.
Ciapisteps begann als Ego-Projekt, als Zuchetti monatlich Tapes veröffentlichte, die er zu Hause aufgenommen hatte. Aus dem Wohnzimmerstudio wurde schnell ein kreatives Zentrum, in dem längst quer durch die Kunstformen gearbeitet wird. Dichter, Maler und Filmemacher sollen sich gegenseitig unterstützen, während die Grenzen der Genres aufweichen und zur Nahrungsbeschaffung beispielsweise auch Musik für Videospiele entsteht.
Auf der Bühne, wo dann doch wieder klassische Instrumente und Stimmen eingesetzt werden, sorgen Tanz und Projektionen für den umfassenden Kunstanspruch. Und das ist dann ja doch schon wieder sehr Seventies. Thomas Winkler
22. bis 25 Oktober, jeweils 22 Uhr, Duncker, Dunckerstraße 64, Prenzlauer Berg
Heute: Overlook, Ciapisteps und Icon, morgen: Arkhé, Samstag: Yage und Icon, Sonntag: Yage, Icon, Arkhé, Ciapisteps und Overlook
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