: Windige Angelegenheit
■ Wie schröcklich: Wolf-Dietrich Sprenger müht sich am Thalia Theater an Kleists „Zerbrochenen Krug“ ab. Ohne Erfolg
Ein scharfer Wind heult durchs Gericht. Aus Aktenordnern schießen Blätter hoch und segeln zu Boden. Während sich Dorfrichter Adam (Peter Striebeck) nocht schlaftrunken in langer Unterhose und Unterhemd auf dem Gerichtstisch zu einem Nickerchen hinlegt, verkündet Schreiber Licht (Michael Altmann) vom kommenden Unheil: Der strenge Revisor Walter (Siegfried W. Kernen) naht.
Der Wind als Vorbote der Veränderung. In Wolf-Dietrich Sprengers Inszenierung vom Zerbrochenen Krug pfeift er mehr als einmal über die fast kahle Bühne. Frischen Wind in Kleists Klassiker bringt er damit noch lange nicht. Betont streng entfaltet sich im Thalia Theater die Geschichte vom Richter, der eigentlich selbst auf die Anklagebank gehört. Ängstlich darum bemüht, daß die vielgespielte Komödie nicht zur Klamotte gerät, nimmt Sprenger dem Dorfkrimi alle Leichtigkeit und sorgt damit für Einzug der Langeweile. Achim Römers originelles Bühnenbild ist die einzige erfrischende Irritation des Abends. Mit sich nach hinten verjüngenden Stellwänden, die zu einem unsichtbaren Ausgang führen, hat er einen unwirtlichen Raum geschaffen. Was sich allerdings in diesem abweisenden Gerichtsambiente abspielt, paßt eher in das betuliche Bild einer vollgestopften Amtsstube anno 1808. Ohne Verfremdungen oder Aktualisierungen beklagt dort Frau Marthe Rull (Sandra Flubacher) mit dem zerbrochenen Krug den befürchteten Verlust der Jungfräulichkeit ihrer Tochter Eve (Susanne Wolff). Wie schröcklich! Immer erdrückender werden die Indizien, daß Dorfrichter Adam den Krug bei seiner nächtlichen Flucht aus Eves Kammer zerbrach. Doch mit Bauernschläue und Dreistigkeit versucht er die Schuld – egal auf wen, und sei's der Teufel – abzuladen.
Peter Striebeck gibt den kahlköpfigen Adam verschlagen und aufbrausend, doch fehlt es ihm an der Durchsetzungskraft, die sein Eindringen in Eves Kammer plausibel macht. Er betont in seinem Spiel die unterwürfigen, schleimigen Charakterzüge des Dorfrichters – was ihn nicht gerade zum Sympathieträger macht, wohl aber das obrigkeitsstaatliche Denken dieser Zeit verdeutlicht. Den politischen Aspekt betont Sprenger auch, wenn er die ursprüngliche Langfassung des Stücks zeigt, die Kleist selbst gekürzt hat. Sie endet mit Eves Mißtrauensbekundung dem Staat gegenüber. Was als kritischer Geist die kahle Halle durchwehen soll, wirkt bemüht – so wie im ganzen Stück der Wind zu offensichtlich aus einer Windmaschine weht.
Karin Liebe
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