: Schock! Von Stefan Kuzmany
Er ruft meist am späten Nachmittag an. Mit jedem Ton des anschwellenden Dreiklangs hämmert es in meinem Hirn, geh nicht ran, er wird es sein, sei nicht blöd, du bist nicht da. Würde ich nur auf mich hören. Manchmal macht er am Anfang eine kleine Pause, um dann einen spitzen Ton wie einen Schuß in mein Ohr zu pressen: „Schock!“
Da knallt es schon wieder: „Ja, Schock! hier. Endlich erreiche ich Sie mal.“ „Äh, ja. Herr Schock?“ Das ist ein Ritual: Ich stelle mich blöd, erinnere mich nicht an seinen Namen und sein Anliegen, während er seine doofe Geschichte immer wieder von vorne erzählen muß. „Wissen Sie nicht mehr? Der Tom hat gesagt, ich soll Ihnen mal unter die Arme greifen. Sie kennen doch den Tom. Dann kennen Sie auch seine Freundin, die Vroni. Und ich bin Vronis Vater.“
Der Schock! möchte mir eine „Analyse“ erstellen. Er will, daß ich bei ihm erscheine und alle Papiere mitbringe. Ich werde diesem Mann aber keine Papiere bringen. Ich will auch keine Versicherung. „Warum sagst du ihm nicht einfach, daß du von ihm nicht beraten werden willst?“ fragte mich kürzlich die Kollegin C. Aber dafür ist es jetzt zu spät, viel zu spät. Klar wollte ich ihn loswerden. Ich habe ihn vertröstet, mit dem Argument, ich müsse mich erst über ihn erkundigen. Stunden später rief der Schock! wieder an. „Ja, Schock! hier, ich habe ja den ganzen Abend neben meinem Telefon gesessen und auf Ihren Rückruf gewartet.“ Ich stotterte. Man hätte mir abgeraten. „Tja, manchmal muß man eben wissen, ob und wem man wirklich trauen kann.“ Während mich sein Gedanke noch faszinierte, reifte ein anderer in mir. Ich würde den Schock bitten, doch statt meiner „dem Tom“ wieder ein wenig „unter die Arme“ zu greifen. Als ich wieder aufmerksam war, befanden wir uns bereits mitten in einer Terminabsprache.
Nach dem Gespräch konnte ich es nicht fassen: Ich hatte mich für Mittwoch beim Schock! angemeldet und wollte, klangen mir meine Worte noch im Ohr, „alle Papiere mitbringen“. Was jetzt? Ich wählte die Nummer des Schock!, um ihm abzusagen. Es klingelte lange. Schock! schien sich in einem entlegenen Teil seines Terrorimperiums zu entspannen. Da hob er plötzlich ab. Eine vollkommen veränderte Stimme meldete sich, grauenhaft knarzend, lauernd und abweisend: „Schock?“ Das war doch nicht der Schock! Nein, mit diesem Menschen konnte ich nicht sprechen. Ich legte auf.
Wenig später hatte ich einen genialen Plan: Am offenen Fenster aktivierte ich mein Mobiltelefon – Schock! sollte denken, ich sei auf Reisen. Mein Nachbar mähte gerade den Rasen. „Herr Schock, ich muß sofort aus dem Haus. Nein, eigentlich bin ich schon unterwegs, wie sie hören, höhö. Überraschender Urlaub. Kurzfristig nach Berlin. Urlaub in Berlin, wo ich dann auch einen Arzt aufsuchen muß. Ja, und auch Arbeit, es tut mir herzlich leid, auf Wiederhören.“ Aber nicht mit dem Schock! „Ja, Berlin. Da habe ich früher auch einmal gearbeitet, da war die Vroni ja noch klein. Kennen Sie die Axel-Schweiß-Allee?“ Der Schock! sülzte mich gnadenlos zu. Für 1,89 Mark die Minute. Ich war gelähmt. Schock! vertiefte derweil meine Kenntnis seiner Berliner Lebensumstände. Er werde sich wieder melden. Seither sind drei Wochen vergangen. Ich warte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen