: Großes Geld, fast geschenkt
Trotz Verbots wird in Berlin die Zeitung „15 Uhr Aktuell“ verteilt, mit dem Aufdruck „kostenloses Probeexemplar“. Zwei Newcomer im Clinch mit Springer ■ Von Tina Hüttl
Seit einer Woche drücken Verteiler vorbeihastenden Passanten ein umstrittenes Objekt in die Hand: 15 Uhr Aktuell – eine kostenlose Tageszeitung. Laut Verlag soll 15 Uhr Aktuell jeden Nachmittag schnell informieren – dabei will die Zeitung kein Anzeigenblatt sein, auch wenn sie sich nur durch Werbung finanziert.
Mehrere Versuche einer kostenlosen Tageszeitung in Berlin wurden bereits wegen unlauteren Wettbewerbs verboten. Eine einstweilige Verfügung hat der Springer Verlag jetzt auch gegen das neue Blatt erwirkt – doch es erscheint weiter. Seit Montag prangt auf dem Titel allerdings der Aufdruck „20 Pfennig“.
Mit diesem Trick umgehen die Verleger Robert Sidor und Michael Bielski das Verbot. Denn vorerst zahlt man weiter nichts. „Wir nutzen derzeit die Möglichkeit, zwei Wochen kostenlose Probeexemplare zu verteilen“, sagt Sidor. Lastwagen karren weiterhin jeden Nachmittag 100.000 Exemplare an zentrale Punkte Berlins, an denen meist Studenten als Verteiler bereitstehen. Parallel ficht der Verlag die einstweilige Verfügung gegen sein Blatt an. Denn Sidor und sein Kompagnon Bielski wittern das große Geld.
Die Idee einer kostenlosen Zeitung kommt aus Schweden: Mit Metro, einer Gratiszeitung des Stockholmer Nahverkehrs, verdienen ihre Verleger Millionen (siehe Kasten). In Deutschland wird der Markt von den Großverlagen bislang scharf bewacht, vor allem Boulevardblätter fürchten die kostenlose Konkurrenz. Seit aber im Februar dieses Jahres die kostenlose Freiburger Zeitung zum Sonntag (ZuS) gegen Springer gewann, brodelt es aber heftig. Springer sieht seine Marktposition bei Sonntags- (Bild am Sonntag) und Kaufblättern (Bild, B.Z.) in Gefahr und argumentiert, wer Zeitungen verschenke, verderbe den Wettbewerb. Doch das Karlsruher Oberlandesgericht urteilte, die Wettbewerbsklausel sei auf Zeitungen nicht anwendbar. Die seien im Gegensatz zu Zahnpasta oder Taschentüchern kein austauschbares Produkt. ZuS-Anwalt Schmid sieht das Nebeneinander von käuflichen und Gratistageszeitungen nur noch als Frage der Zeit. Springer will dagegen in Sachen ZuS notfalls bis vors Verfassungsgericht gehen. Verschärft wurde der Streit, als sich Deutschlands größter Verlagskonzern, die Bertelsmann-Tochter Gruner+Jahr (Berliner Zeitung, Stern) die ZuS einverleibte und ankündigte, sie deutschlandweit auszudehnen.
Solange die Gerichte nicht entschieden haben, wollten die Kleinverleger Sidor und Bielski die Lücke nutzen. „Etwas naiv“ findet das Herbert Borrmann, Geschäftsführer des Anzeigenblatts Zweite Hand: „Man braucht einen langen Atem, um den gerichtlichen Weg zu gehen.“ Borrmann selbst plante vor drei Jahren eine Zeitung mit den Berliner Verkehrsbetrieben, die aber schon in der Anfangsphase an der Zeitungslobby scheiterte. Er sieht auch für die Newcomer keine Chance: „15 Uhr Aktuell fehlt der besondere Gag, den die U-Bahn-Distribution hätte.“ Borrmann vermutet, Sidor und Co. verhandelten mit G+J. Und: „Die Zeitung ist aber nur ein schlecht gemachtes Revolverblatt.“
Doch um Journalismus geht es Sidor und Bielski auch nicht. „Wir sind für herkömmliche Tageszeitungen keine Konkurrenz“, sagt Sidor. „Die redaktionelle Tiefe können und wollen wir gar nicht erfüllen.“ 15 Uhr Aktuell bietet auf 16 Seiten nur Oberflächliches. Das 15köpfige Team schreibt hauptsächlich Texte von Nachrichtenagenturen um – ohne dies zu kennzeichnen. Das Ganze wird dann gern reißerisch aufgemacht. Zur Kanzlerwahl titelte man: „Vom Kitt-Fresser zum Kanzler.“ Gerhard Schröder habe in seiner Kindheit aus Hunger den Fensterkitt gegessen.
Die Kontakte zu Anzeigenkunden haben die beiden Verleger in der Computerbranche geknüpft. Ihren Firmen „Omnilab“ und „Esotronic“ führen sie weiterhin. Eineinhalb Millionen haben sie nach eigenen Aussagen investiert. Nächstes Jahr wollen sie die Ausgaben wieder reingeholt haben. „Lustig“ findet Sidor die einstweilige Verfügung durch Springer. Doch der Tonfall läßt erahnen, daß sie ihn doch empfindlich trifft.
Denn nur Gratisverteilung bringt wirklich Geld: Bei einer Auflage von 100.000 Umsonst- Blättern verkauften sie eine Seiten-Anzeige für 16.000 Mark. Dieselbe kostet in der 20-Pfennig- Ausgabe nur noch 6.000 Mark, denn die Auflage schrumpfte um die Hälfte. Der Schweizer Juwelier Bucherer, der dauerhaft die Rückseite belegt, will weiter inserieren. Da seien „verwandtschaftliche Beziehungen im Spiel“, mutmaßt Konkurrent Borrmann. „Warum sollte der teuerste Schweizer Juwelier ausgerechnet in dieser Prollzeitung abonnieren?“
Fraglich bleibt auch, wer für 15 Uhr Aktuell 20 Pfennig ausgeben wird. Schließlich sind auch normale Zeitungen in Berlin billig wie nirgends: Springer verschleudert seine Morgenpost in einem Preiskampf mit G+J für 90 Pfennige, deren renommierte Berliner Zeitung kostet auch nur eine Mark.
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