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Ist Naumannn schon Realist geworden?

Rund eine Woche ist der sozialdemokratische Wunderknabe nun im Amt des Staatsministers für Kultur. Die taz lud ihn zum öffentlichen Nachdenken über Kulturpolitik in einer neuen Republik – und über Luftballons  ■ Aus Berlin Thekla Dannenberg

Jedesmal, wenn man im Innenhof der Deutschen Bank Unter den Linden seinen Blick wandern läßt, ändert sich die Fassade. Vorne ein kulissenhafter Gebäudeteil, nach hinten dann ganz architekturgewordene Macht der Ökonomie. Ein Verbindungsteil aus den 20er Jahren läßt das dort untergebrachte Museum Deutsche Guggenheim ahnen. Das Glasdach spiegelt indirektes Licht und akkurate Bestuhlung. Die Leere zwischen alldem muß gefüllt werden. Wie das Wort von der „Berliner Republik“.

Hierher hatte die taz vorgestern zur Diskussion über eine „neue Politik der Kultur“ geladen. Kultur-Staatsminister Michael Naumann sollte mit denen zusammentreffen, die ihn nach seiner Nominierung je nach Präferenz für „überflüssig“, oder im Gegenteil für einen „Erlöser“ hielten. Im 400köpfigen Publikum saßen denn auch meist Feuilletonisten, die sich unter anderen Umständen bestenfalls auf die Entfernung eines Kugelschreiberwurfs nähern würden. Nur spärlich erschienen waren die Instanzen des Berliner Kulturlebens selbst, die Clubbetreiber, Impresarios und Intendanten – von einigen Vertretern des Bibliothekswesens und den Freien Theateranstalten abgesehen.

Trotzdem lag ein Hauch von Aufbruch in der Luft. Vielleicht einte das Publikum die Hoffnung, der Staatsminister für Kultur möge das neue Deutschland acht Jahre nach der Wiedervereinigung „nachträglich konstituieren“, wie es der Publizist Mathias Greffrath ausdrückte. So einen wie ihn, einen zitatfesten Intellektuellen, der auch noch was von Wirtschaft versteht, hat sich die SPD schließlich schon lange nicht mehr geleistet.

Doch es trat ein Michael Naumann auf, der nach einer Woche Bonner Amt gezeichnet wirkte – oder kokettierte er geschickt damit? Ein ernüchterter Mann, der wenig Ähnlichkeiten mit dem meinungsfreudigen Visionär zu haben schien, als der er im Wahlkampf die eigenen Genossen erschreckte: mit einem Bauchladen voller Ideen und Projekte.

Seine anfängliche Unbefangenheit hatte ihm von Seiten Greffraths noch vor einigen Wochen den Vorwurf eingebracht, Luftballons steigen zu lassen. Doch deutsche Verwaltung macht nüchtern: „In Bonn werden aus Träumern und Utopisten Realisten.“ Wenn auch neun Ballons platzen, einer kommt vielleicht durch. Sagt Naumann. Und Greffrath verliert seine Angriffslust.

Der neue Minister – ein Wendehals? Dem deutschen Feuilleton hatte Naumann vor einem guten Monat die Leviten gelesen, Vorwürfe gestreut, zu viele Edelfedern würden in zu eleganter Geste auf praktische Politik verzichten. Und nun plötzlich das Gegenteil: Naumann scheint die anwesenden Kulturredakteure auf dem Podium und im Publikum als seine Verbündeten gegen eine ignorante Bonner Beamtenschaft zu betrachten. Oder spielt Naumann bloß mit den Erwartungen an seine Person? Wie die Auf- und Abbaumechanismen des Journalismus funktionieren, weiß der frühere Spiegel- Ressortleiter schließlich.

Überraschend, daß Naumann an ihn herangetragene visionäre Ansprüche nur abwehrte. Heinz Bude, Soziologe vom Hamburger Institut für Sozialforschung und Herold der „Berliner Generation“, wollte den „Optionsraum“ Berliner Republik endlich dazu genutzt sehen, „links“ und „rechts“ neu zu definieren, den „Begriff des Bürgers“ neu zu fassen, die Gesellschaft nicht mehr nur als Arbeitsgellschaft zu begreifen. Greffrath sekundierte: „Rot-Grün wär' doch bescheuert, wenn es nicht die Strukturen der Berliner Republik prägen würde.“ Doch Naumann distanzierte sich, und das mit einer eher populistischen Figur: Man möge sich vor Politikern mit Visionen hüten. „Die werden sie durchsetzen.“

Mit einem Mal ganz Sozialdemokrat der Kultur, warnte Naumann davor „wegzufliegen“, sich von den politischen Kategorien der sozialen Gerechtigkeit zu verabschieden. Eine Kulturpolitik der kleinen Schritte wollte er nun: Ängste der Menschen ernst nehmen, Kultursendungen im Öffentlich-Rechtlichen nicht erst um Mitternacht und die Angebote der drei Opernhäusern der Hauptstadt etwas rationaler gestalten. Auf keinen Fall will er Leitbilder oder Ideen verordnen, höchstens den „republikanischen Diskurs“, den aber nicht auf Stadtteilfesten, wie FAZ-Feuilletonist Uwe Schmitt über das bisherige Zentrum der SPD-Kultur lästerte, sondern auf einem Podium. Vor Kulisse.

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