: Wolfgang Niedecken oder Das Leben ist ein Roman Herzog Von Wiglaf Droste
Wolfgang Niedecken hat die Aura einer Landplage. Überall ist der BAP-Sänger dabei, und immer übernimmt er den Part des nachdenklichen, kritischen Mannes, der ausschließlich aus ganz persönlicher Erfahrung spricht. Genau das gibt dem Mann etwas priesteramtlich Salbungsvolles, ja Gekreuzigtes: daß er, wie banal der Gegenstand seiner Rede auch sei, stets suggeriert, er stehe zum jeweiligen Thema in einer geradezu intimen Beziehung.
So empfahl er sich in der Bild am Sonntag als künftiger Präsident des 1. FC Köln; Niedecken hatte, als ginge es dem Verein nicht schon schlecht genug, dem Fußballclub ein Lied geschrieben und gemeinsam mit Stefan Raab und Guildo Horn eingespielt: „FC, Jeff jas!“ mit dem Refrain „He weed nit resigniert, selvs wenn mir verliere“. Tröstlich wäre es, wenn man das anschließende Elendsgebolze der Kölner Spieler als direkte Reaktion auf Niedeckens Durchhalteparolen verstehen dürfte.
Nachdem aber Niedecken der BamS-Leserschaft halbseitenweise die Ohren vollgesprochen hatte über die „Tradition dieses Klubs“ und wie es denn alles besser werden und aufwärts gehen könne, wenn man nur endlich auf ihn, Niedecken, hören wolle, erklärte er plötzlich: „Ich möchte mich da auch nicht allzusehr in den Vordergrund spielen.“ So funktioniert das: erst herumwedeln und sich ins Spiel bringen, um dann feinsinnig abzuwiegeln und den bescheiden gebliebenen Jungen herauszukehren.
Auch beim Deutschland!-Konzert am 3. Oktober in Hannover traten Niedecken und BAP vollzählig an. In Niedeckens Version las sich das so: „Wir haben erst um Bedenkzeit gebeten, aber alles in allem ist das mit der Einheit ganz okay, na ja, ganz okay ist wohl doch stark untertrieben.“ Etwas ästhetisch Trostloseres, als gemeinsam mit Gerhard Schröder, mit dessen Tennispartner Klaus Meine und mit dem Rest der Scorpions die deutsche Einheit zu feiern, ist schwer vorstellbar; bittet man sich für diese dem klassischen Blasmusikbierzelt ebenbürtige Veranstaltung jedoch eine „Bedenkzeit“ aus, bloß um dann sowieso mitzumachen, ist das doppelt unappetitlich. Schröder und seinen Scorpions darf man immerhin unterstellen, über solche Feierlichkeiten keine Sekunde nachgedacht zu haben; sie mögen das wirklich, es ist ihr Leben und ihr geistiger Zuschnitt. Mit seiner angeblichen Bewußtheit, seiner Skepsis und seiner sensiblen Art aber hausieren zu gehen, um dann dasselbe zu tun wie die anderen Hauklötze auch, ist Hypokrisie in Vollendung: Wo immer Niedecken heuchelt, ist er ganz mit sich identisch, ein geschlossenes System, vollkommen ehrlich sozusagen.
Kein Wunder, daß Niedecken das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde und daß er es annahm; der Mann lebt in dem Glauben, daß alles gut und richtig sei, wenn nur er es tue – er könnte einem auch glaubhaft erzählen, beim Einparken Großes und sehr Persönliches gefühlt zu haben. So landete er schließlich bei Roman Herzog im Schloß Bellevue und sagte es noch einmal: „Ich schreibe nur über Sachen, die mich selber berührt haben.“ Unniederringbar gläubisch ist Wolfgang Niedecken. „Mein Horizont hat sich erweitert“, sagt er noch und meint: Er kann sich jetzt in vielen Spiegeln sehen, auch in Roman Herzog.
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