: Der Holländer, der sich ständig irrt
Nach dem 1:2 gegen Bayern München und dem mutmaßlichen Scheitern in der Champions League wird die Position des wenig geliebten Coaches Louis van Gaal beim FC Barcelona zusehends schwieriger ■ Aus Barcelona Werner Kuhn
„Die eiserne Tulpe“, wie Louis van Gaal hier auch genannt wird, ist bekannt für sein holpriges Spanisch, aber einen Satz bringt der niederländische Trainer des FC Barcelona schon ziemlich fließend heraus: „Wir hatten Pech!“ Nun ist bekanntlich die Häufigkeit solcher Argumente umgekehrt proportional zu ihrer Durchschlagskraft. Trotzdem könnte man den Satz ausnahmsweise für das mit 1:2 gegen Bayern München verlorene Spiel in der Champions League gelten lassen.
Im Grunde war es ein Unentschieden. Barça holte mehr Ecken heraus, hatte mehr Torgelegenheiten und war mehr im Ballbesitz – die Bayern begingen mehr Fouls, bekamen mehr gelbe Karten und schossen mehr Tore. Ob man aber so einfach sagen kann, daß nicht die bessere, sondern die glücklichere Mannschaft gewann, wie es Bayern-Coach Hitzfeld tat? Schließlich ist die Abwehrschwäche des FC Barcelona inzwischen jedem Erdenbürger klar, außer Herrn van Gaal, und eine ohne Zweifel glanzvolle Offensive zahlt sich nur aus, wenn sie wenigstens ab und zu die gegnerische Abwehr samt Torwart überwinden kann. In den Spielen gegen die Bayern gelang dies nur einmal per Elfmeter.
Bei Barça wird mehr Portugiesisch und Niederländisch gesprochen als Spanisch, zur Verstärkung der holländischen Fraktion wollte der Coach eigentlich noch die Brüder de Boer. Das hat nicht geklappt, so wurde schnell Patrick Kluivert (Mindestlohn: 5 Millionen Mark pro Saison) gekauft. Die Defensive hat das nicht gestärkt, außerdem kam er zu spät, um ihn in die Champions League einzuschreiben. „El holandes errante“ – der fliegende Holländer, nennt man van Gaal in Barcelona gern, was ein böser Mensch auch als „der sich permanent Irrende“ übersetzen könnte. Auf wenig Sympathie stößt zudem, daß der feldwebelartige Coach als mindestens so deutsch und stur gilt wie, sagen wir, die Bayern. Dazu kommt, daß er keine Zeit hat zum Golfspielen und in anderthalb Jahren nur einmal im Kino war („Titanic“).
Van Gaal arbeitet. Vom Notizblock ins reine schreiben, Stunden vor dem Computer. Informationen, die ihm Assistent Ronald Koeman, der zwecks besserem Überblick oben auf dem Rang sitzt, über ein hochmodernes Palm Top zukommen läßt, werden schon in der Halbzeit analysiert und – korrigiert. Eine seiner Lieblingsbeschäftigungen – und wenn es nur darum geht, seinen Schützlingen zu zeigen, wie man beim Mannschaftsfoto die Hände übereinanderlegt. Lieblingsbeschäftigung Nr. 2: Kontrollieren. Zum Beispiel mit halbem Ohr hinhören, wenn seine Spieler interviewt werden. Nr. 3: Kommandieren. Als früherer Sportlehrer für schwer erziehbare Jungs weiß er, daß seine Zöglinge leicht in Anfechtung fallen können, und stimmt hier völlig mit Matthäus überein, der ja auch gern herumschreit und schon in seinem Evangelium sagte: „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“
Daß Barças magische Nacht zu einer tragischen wurde, hat nicht zu seiner Beliebtheit in der Stadt beigetragen und ist besonders für die Fans bitter. Im letzten Jahr Meister und Pokalsieger geworden, in Europa aber kläglich gescheitert, wäre es darum gegangen, die Scharte auszuwetzen – besonders, weil den Pokal am Ende Real Madrid nach Hause trug. Alles war so schön eingefädelt: Das Endspiel im Mai wird in Barcelona stattfinden, was schön gepaßt hätte zum hundertjährigen Jubiläum des Klubs. Eine eigens dazu geschaffene Hymne wurde schon vom hiesigen Sinfonieorchester im Musikpalast vorgestellt. Und schließlich wurde, ganz im Banne der neuen Noblesse, Order gegeben, daß sich jetzt auch Journalisten ordentlich zu kleiden haben, wenn sie die Loge betreten wollen. Alles für die Katz, auch wenn der nobel-elegante Vizepräsident Joan Gaspart, nach Spielschluß dem Ende nahe, meinte: „Ja, wenn die Hoffnung nicht wär'.“ La Rochefoucauld, ein echter Edelmann, hätte wahrscheinlich gesagt: „Das sicherste Zeichen des wahrhaft verständigen Menschen ist Neidlosigkeit.“
Denn der Kaiser (geht's noch nobler?) hat wohl recht mit seiner Prognose: Wer verliert, ist draußen. Bayern braucht nur gegen Bröndby zu gewinnen, um van Gaals anderen Standardsatz zu widerlegen, selbst wenn der darin enthaltene Wunsch in Erfüllung ginge: „Die Ergebnisse werden schon kommen.“ Was bliebe ihm dann noch? Mehr von seiner Lieblingstugend: Disziplin. „Alle müssen den Geist der Disziplin heben, entschlossen die Befehle ausführen, die drei Hauptregeln der Disziplin und die acht Punkte zur Beachtung befolgen, sie dürfen das Aufkommen irgendwelcher Erscheinungen von Disziplinbruch nicht zulassen.“ Irgendwo müßte sich doch eine alte Mao-Bibel auftreiben lassen.
Bayern München: Kahn – Babbel, Kuffour, Matthäus, Lizarazu – Fink, Effenberg, Tarnat (74. Strunz) – Basler (64. Salihamidzic), Elber, Zickler (64. Daei)
Zuschauer: 85.000; Tore: 1:0 Giovanni (29./Foulelfmeter), 1:1 Zickler (48.), 1:2 Salihamidzic (87.)
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