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Milde Gaben der neuen Regierung

Rot-Grün ändert wesentliche Punkte der Gesundheitspolitik der Kohl-Regierung: Medikamentenzuzahlung wird gesenkt, das Krankenhausnotopfer gestrichen. Der Gesetzentwurf geht nächste Woche in den Bundestag  ■ Von Annette Rogalla

Berlin (taz) – In der kommenden Woche schon sollen die ersten Wahlversprechen der neuen Regierung eingelöst werden. Die Fraktionen der rot-grünen Koalition wollen ein Gesetz in den Bundestag einbringen, das wesentliche Teile der Gesundheitspolitik der vorigen Regierung zurücknimmt. Zu den einzelnen Punkten des sogenannten Vorschaltgesetzes wollte sich Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) nicht äußern. Ein Sprecher ihres Ministeriums sagte gestern zur taz: „Wir haben absolutes Stillschweigen bis Montag vereinbart.“ Bis dahin soll der Entwurf von den Fraktionen beraten werden.

Trotzdem wurden in Bonn einige Punkte bekannt. Im kommenden Jahr sollen die Zuzahlungen für Arzneimittel von bisher neun, elf und 13 Mark voraussichtlich auf acht, neun und zehn Mark gesenkt werden. Wird eine chronische Krankheit attestiert, soll der Patient ab dem zweiten Jahr der Behandlung nichts mehr zuzahlen, sofern er mehr als zwei Prozent seines Haushaltseinkommens für Medikamentenzuzahlungen aufbringen müßte. Die jährliche Sonderzahlung in Höhe von 20 Mark zur Instandhaltung der Krankenhäuser soll bereits für dieses Jahr gestrichen werden.

Beim Zahnersatz will die Koalition den Festzuschuß der Krankenkassen abschaffen. Zahnärzte sollen künftig wieder direkt mit der Krankenkasse abrechnen. Die Kassen werden wieder prozentual die Kosten für Kronen, Brücken und Prothesen übernehmen. Auch junge Menschen, die nach dem 31.12. 1978 geboren sind, erhalten ihren Anspruch auf Zahnersatz zurück. Die Zuzahlungen für psychotherapeutische Behandlungen von zehn Mark pro Sitzung sollen nicht eingeführt werden.

Die Krankenkassen sind über die beabsichtigten Wohltaten erfreut. Die Rücknahme von privaten Versicherungselementen seien notwendig, sagte eine Sprecherin des Verbandes der Angestellten Krankenkassen (VdAK) zur taz. „Sie passen nicht in eine solidarische Krankenversicherung.“ In Zurückhaltung übte sich der Sprecher der Bundesärztekammer: „Solange wir den Gesetzentwurf nicht gesehen haben, enthalten wir uns einer Äußerung.“

Die dürften allerdings in der kommenden Woche um so heftiger werden. Die Gesundheitsministerin will die Ausgaben der einzelnen Gesundheitssektoren für 1999 mittels Budgets begrenzen. Mit einer ähnlichen Regelung hatte ihr Vorgänger Horst Seehofer (CSU) versucht, die Kosten in Schach zu halten. Die Ärzte ignorierten die Ausgabenbeschränkung. Daraufhin wollte Seehofer sie kollektiv in Regreß nehmen, konnte sich aber gegen die starken Interessenverbände nicht durchsetzen.

Wieviel die Neuerungen kosten werden, ist unklar. Das Gesundheitsministerium nennt keine Zahlen. Fachleute der Krankenkassen schätzen, daß den Kassen durch den Verzicht auf das Krankenhausnotopfer 880 Millionen Mark pro Jahr entgehen. Eine Mark weniger Zuzahlung bei Medikamenten werden mit 60 Millionen Mark veranschlagt. Die Rückstufung der Medikamentenzahlung soll insgesamt 1,1 Milliarden Mark kosten. Mit einem Ausgabenschub von 500 Millionen Mark wird bei Zahnersatzleistungen gerechnet. Insgesamt gehen die Kassen von einer Mehrbelastung von 3,2 Milliarden Mark für 1999 aus.

Das Gesundheitsministerium legt niedrigere Zahlen zugrunde. In einem internen Papier, das der taz vorliegt, wird die Reduzierung der Arzneimittelzuzahlung mit etwa 500 Millionen Mark beziffert, die Aussetzung des Krankenhausnotopfers mit rund 730 Millionen Mark. Wie hoch die Mehrbelastungen für die Kassen letztlich auch ausfallen werden, die Gegenfinanzierung scheint selbst im Ministerium unsicher. Drei kleine Punkte in dem Papier sprechen für sich. Danach könnte die Einführung einer Versicherungspflicht für geringfügig Beschäftigte den gesetzlichen Krankenkassen „Mehreinnahmen von ca. ... Mrd. DM“ bringen. Die Gegenfinanzierung sei nicht nachvollziehbar, heißt es bei den Krankenkassen: „Wer versucht, dem Gesetzentwurf mit Adam Riese beizukommen, der kommt nicht weit.“

Gesetzestechnisch ist das „Gesetz zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung“ unproblematisch. Am 12. November soll es in den Bundestag gehen. In der Debatte wird die CDU eine Anhörung verlangen. Das dürfte aber den weiteren Weg nicht behindern. Mitte Dezember soll der Bundesrat zustimmen, so daß es zum 1. Januar in Kraft treten kann.

Ein Jahr soll es gültig sein. Für 1999 hat Andrea Fischer eine grundlegende Strukturreform im Gesundheitswesen angekündigt. Dann soll ein Globalbudget die Kosten deckeln, eine Positivliste wird festlegen, welche Medikamente der Arzt verschreiben darf, und die Krankenhäuser sollen in die Hand der Kassen übergehen. Der Druck auf Andrea Fischer durch die Ärzte wird zunehmen.

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