Mythos Muster-Gau

■ Tagung wider weiße Flecken in Hamburgs national-sozialistischer Vergangenheit Von Stefanie Winter

Wie war das denn nun in Hamburg, im „Dritten Reich“? Machte der hanseatische Geist es den Nazis besonders schwer oder funktionierte die Stadt eher vorbildlich? Der Mythos von Hamburg als einer Enklave, die besonders hartnäckig dem Nationalsozialismus trotzte, sei zumindest widerlegt: „Niemand, der historisch arbeitet, wird das heutzutage noch behaupten“, versicherte der Historiker Karl-Heinz Roth von der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts (HSG) gestern auf einer Pressekonferenz.

Allerdings haben sich auch Hamburger Forscherinnen und Forscher durch den schönen Mythos in ihrer Arbeit beeinflussen lassen und zentrale Fragen bislang nicht ausreichend geklärt. Die Querverbindungen zwischen NSDAP und hanseatischen Wirtschaftsunternehmen zum Beispiel seien bis heute nicht analysiert. Auch die Alltagsgeschichte gehöre zu den weißen Flecken in der Forschungslandschaft.

Während einer Tagung am 21. und 22. Oktober – ein Gemeinschaftsprojekt von HSG, GAL-Bürgerschaftsfraktion und Umdenken e.V. – sollen Forschungsdefizite daher einen Schwerpunkt bilden. Die Historikerinnen und Historiker erwarten von der Diskussion, zu der die „interessierte Öffentlichkeit“ ausdrücklich eingeladen ist, „Initialzündungen“ für ihre weitere Arbeit.

Es gebe jedoch nicht nur weiße Flecken auf der Forschungslandkarte, sondern auch ausreichende Erkenntnisse für eine Zwischenbilanz. Bestätigt habe sich die von der HSG vor zwölf Jahren formulierte These von „Hamburg als Muster-gau“ zumindest in manchen Punkten. Die Hansestadt habe in der Sozialpolitik und der Fürsorge des „Dritten Reichs“ eine Vorreiterrolle gespielt, sagte die Historikerin Angelika Ebbinghaus. Sehr früh seien Ausgrenzungsmaßnahmen gegen Jüdinnen und Juden getroffen worden: „Und die wurden dann reichsweit übernommen.“ Eine zentrale Rolle spielte Hamburg auch mit der Firma „Tesch & Stabenow“ als Lieferantin der Nazi-Mordwaffe „Zyklon B“.

Der 50. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai ist Anlaß für die Tagung; absichtlich hat sich die HSG aber nicht den „unzähligen, häufig ritualisierten Gedenkfeiern“ angeschlossen.

Die Tagung beginnt am Samstag, 21. Oktober, mit einem Referat über Forschungspositionen und Defizite. Workshops zu Machtstrukturen, Verfolgung der Juden, Bedeutung der Justiz, Rolle des Arbeitertums und Alltagsleben in Hamburg schließen sich bis Sonntag abend an. Die Teilnahme ist natürlich kostenlos.